Ein Vorschlag für Wandervögel, die das Besondere lieben
von Lia Gross
Das Doru-Tal (Valea Izvorul Dorului) im Bucegi-Gebirge ist eines jener Gebiete in diesem
meistbegangenen Massiv, in denen der Ruhe und Einsamkeit Suchende auf seine Rechnung
kommt. Hier hört man nur das Gezwitscher der Vögel und das Murmeln und Plätschern des
Wassers. Bestenfalls trifft man auf eine Schafherde. Aber die wirkt nicht störend.
Der Izvorul Dorului entspringt unterhalb der Babele (Bucegi-Plateau), fließt nach Süden, bei
Piatra Arsă vorbei, hinter dem Vârful cu Dor entlang (wer von Vârful cu Dor
kommend ins Ialomiţa-Tal absteigt, sei es zur Peştera, sei es nach Bolboci,
muss dieses munter plätschernde Bächlein überqueren), wendet sich dann nach Westen und
stürzt zwischen Vârful cu Dor und Vânturiş ziemlich steil in die Tiefe. Irgendwo
unterhalb Sinaia nimmt die Prahova das Doru-Wasser auf und mit auf die Reise.
Wenn man nur der Markierung nach wandert und einzig dem Etappenziel entgegenstrebt,
macht man sich meist keine Gedanken darüber, was es wohl abseits des markierten Weges
zu sehen gibt. Und genau das sollte man nicht. Daher: Zeit lassen – schauen – genießen,
nur so macht das Wandern Spaß. Auf diese Weise entdeckt man dann auch kleine und
größere Kostbarkeiten, die der Berg versteckt hält und allein seinen Freunden offenbart.
Meine Bekanntschaft mit dem Doru-Wasser erfolgte – allerdings vor vielen Jahren – so, wie
es nicht geschehen soll: Im Aufstieg zum Vârful cu Dor, regennass und reichlich müde, die
Hütte, das Trocknen und Ausruhen ersehnend, in Zeitnot (der Zug wartet nicht und der Weg
bis Sinaia ist noch lang) – so überquerten wir das Wasser, ohne es auch nur richtig
wahrzunehmen. Erst bei einer späteren Wanderung erfuhr ich, wie das Wasser überhaupt
heißt. Jahre darauf führte mich ein Ausflug von der „Cota 1400“
(Berghotel) zu den
„Colţii lui Barbeş“ und weiter zum Vânturiş. Da musste man das
Doru-Tal an einer seiner schönsten Stellen überqueren. Ein andermal sah ich, dass der Doru
auch weiter oben, gegen Piatra Arsă allerhand schönes bietet, sogar eine Art
Klamm. Die genaue Erforschung dieses Teils nahm ich mir für einen künftigen Ausflug vor.
Als es dazu kam, war es Winter. Alles tief verschneit, vom Wasser keine Spur, nur eine
wilde, von Felsblöcken übersäte Gegend, die mich umso neugieriger machte, all dies auch
im Sommer kennen zu lernen.
Im Juni 1973, zur Zeit der Rhododendronblüte war es dann soweit. Unser Weg führte über
den Vârful cu Dor, über die „Colţii lui Barbeş“ genannten Felsen ins Doru-
Tal, dort, wo es „Bei den Seen“ („La lacuri“) heißt, weil sich da kleine kesselförmige
Vertiefungen im Bachbett gebildet haben, richtige Mini-Seen, die mit ihrem tiefen, ruhigen
und klaren Wasser zum Baden verlocken würden, wenn... Allein schon der Gedanke an die
Temperatur des Wassers treibt einem Kälteschauer über den Rücken.
Von da begann der lange Marsch bachaufwärts, der uns ungeahnte Ausblicke und Einblicke
ermöglichen und viel Schönes bieten sollte. Pfade gibt es nicht, man geht mal auf Gras, mal
auf Sand oder sucht sich den Weg durch die Felsen; geht es auf dem einen Ufer nicht mehr
weiter, wechselt man auf die andere Seite über. Bei soviel Abwechslung bemerkt man gar
nicht, wie die Zeit vergeht. Auch die Landschaft ist ständig eine andere: mal flache Wiese,
mal geht man zwischen mehr oder weniger nahe beieinander liegenden Hügeln hindurch,
mal hat man auf der einen Seite eine steile Felswand oder steckt in einem engen
klammähnlichen Durchbruch. Mal säumen blumige Wiesen den Bach, mal Tannen,
stellenweise bilden latschenbewachsene Hänge seine Ufer.
In der Nähe der Piatra Arsă ist eine der schönsten, weil wildesten Stellen. Und
weiter oben kommt noch mal eine wilde Klamm. Als wir sie von weitem sahen, meinten wir,
dass es hier kein Durchkommen gäbe. Aus der Nähe besehen war es dann gar nicht so
schlimm. Vielleicht erleichterte uns auch eine hier noch ziemlich dicke Schneeschicht den
Durchstieg. Ein wenig Kraxelei im oberen Teil, dann verflachte sich der Kamm. Wer will,
kann dem Wässerchen noch weiter folgen. Wir ließen es aber genug sein und wollten diese
wildromantische Klamm als krönenden Abschluss in Erinnerung behalten.
Schwer ist der Weg, den wir gegangen sind, eigentlich nicht. Wohl etwas lang, dafür aber so
abwechslungsreich, dass man weder seine Länge noch den Höhenunterschied wahrnimmt.
Außerdem bietet er den Vorteil, dass man ihn wann und wo immer unterbrechen und die
nächste Hütte oder den nächsten markierten Weg aufsuchen kann. An schönen Lagerstellen
mangelt es ebenfalls nicht.
Den Doru selbst – muss man den noch beschreiben? Ein Gebirgsbach mit kristallklarem
Wasser, der hier eilig über Steine springt, dort bloß murmelt, drüben strömt und stellenweise
den Anschein erweckt, ein stehendes Gewässer zu sein. In den Klammen rauscht sein
Wasser in Kaskaden und Kaskadchen über die Steinstufen, oder es gurgelt stellenweise
irgendwo tief unter den untertunnelten Schneefeldern.
Es ist wirklich ein Wunder, dass von den zahlreichen Touristen, die der Sonntag in die
Bucegi, vornehmlich per Gondelbahn auf die Furnica bringt, kaum einer hier zu sehen ist.
Aber auch ein Glück!
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 74, S. 185 - 188)
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186 | Das Doru-Tal: Mal gibt es sich still und verträumt... |
187 | ...mal möchte es wild und gefährlich scheinen. An Abwechslung mangelt es nicht in diesem Tal. |