Feriendörfer in Rumänien
Şirnea – das erste touristische Dorf des Landes mit Sommer- und Winterbetrieb
von Ernst Zehschnetzler
Wer von Piteşti oder Braşov kommend den Bran-Pass überquert und nicht im „Höllentempo“ durch die Serpentinen rast, der wird von der landschaftlichen Schönheit dieser Gegend entzückt sein. Kenner unserer Gebirgswelt behaupten, dass dieser Landstrich zwischen Rucăr und Bran zu den schönsten und aufregendsten der ganzen Karpaten gehört – soweit die Bergwelt für den Autofahrer erschlossen ist. In weichen Wellen branden Almen und Täler, Wiesen und Wälder immer weiter hinaus, bis sich, mächtig und hoch, die weißen Kalkfelsen des Königsteins ins Bild schieben und den Horizont abriegeln.
In diese Landschaft eingebettet liegt eine der touristischen Raritäten unserer Berge – das
„touristische Dorf“ Şirnea. Mit Absicht und zu Recht sich selbst so betitelnd, will diese 1330
Meter über dem Meeresspiegel liegende Ortschaft als erstes Dorf in unserem Land aus
eigener Kraft Ferien- und Erholungsort par excellence werden. Es hat, was kaum ein
anderes Bergdorf hat: ein Touristenamt und einen Unterbringungsdienst. Und es hat Ideen,
und den nötigen kollektiven Willen zu deren Durchführung.
Von der Pass-Straße sieht man das Dorf nicht. Man muss da schon bei Kilometer 95,5 aus
Richtung Piteşti (oder 40 aus Richtung Braşov) bei der Gemeinde Fundata einbiegen und auf
einem recht guten Steinweg noch etwa 3 Kilometer weiter ins Tal fahren (dieser Weg wird
übrigens fahrplanmäßig von IRTA-Autobussen aus Braşov befahren). Schon nach einigen
hundert Metern tauchen rechts und links des steil abwärts führenden Weges, auf den sanften
Hängen verstreut, die ersten Bauernhäuser auf. Kühe und Esel, Schafe und Pferde weiden
friedlich auf den saftigen Wiesen, Bäuerinnen in Volkstracht stolzieren mit randvollen
Melkeimern am Tragholz vorbei, irgendwo tönt leise eine Schalmei.
Das Dorfzentrum ist ein größerer Platz – so groß, dass ein Wagen dort umkehren kann –,
der von vier, fünf Gebäuden gesäumt wird – der Schule, dem Kulturheim, dem Obst- und
Gemüseladen, dem Dorfmuseum und noch von zwei Bauernhäusern. Postamt, Restaurant
und die Läden der Konsumgenossenschaft befinden sich, wenn auch nicht weit, so doch
verstreut, auf den Hängen. Die Bauernhäuser gleichen kleinen Villen. Von etwa 310, von
denen viele allerdings recht weit „vom Schuss“ liegen, sind über 80 auf Tourismus eingestellt
und halten schöne, reine Zimmer parat. Der Preis für ein Doppelbettzimmer liegt bei 30 Lei
pro Nacht. Viele Hauswirte kommen auch für das Essen auf; man kann jedoch auch im
Restaurant ein gutes Mahl bestellen. Außer Grill und Fleischspeisen gibt es hier die
Spezialität des Hauses – ein „bulz ciobănesc“ benanntes Gericht aus Maismehl und
Schafkäse. Der Käse ist etwas ganz Delikates – er wird 7 – 8 Tage in Tannenrinde gehalten
und hat dann ein köstliches Aroma.
Was Şirnea aber – neben seiner malerischen Landschaft und den guten
Unterkunftsbedingungen – besonders anziehend macht, sind die geradezu einmaligen
Ausflugsmöglichkeiten. Man kann hier vom 10-Minuten-Spaziergang bis zum Tagesausflug
alles haben, was man gerade will. Die „Stânca Seninare“ liegt nur 15 Minuten entfernt, bis
zur Curmătura Groapelor braucht man eine Stunde und bis zur berühmten Dâmbovicioara-
Höhle und der gleichnamigen Klamm auch nicht länger. Selbst Bran ist in zwei Stunden per
pedes zu erreichen, und in gleicher Zeit kann man zur Zărneşti-Schlucht.
Vor allem aber ist Şirnea der best gelegene Ausgangspunkt für Königstein-Wanderungen.
Bis zur Curmătura-Hütte sind es nicht mehr als 3 ½ Stunden, und auf den Grat kann man auf
einer Variante sogar in nur vier Stunden gelangen.
Şirnea ist jedoch auch das vielleicht einzige Bergdorf, das die von der Natur gegebenen
Möglichkeiten touristisch zu nutzen und zu erweitern sucht. Aus eigenen Mitteln haben die
Bergbauern eine elektrisch beleuchtete Schipiste angelegt, und bis zum Einbruch des
Winters soll auch ein Skilift gebaut werden. Hier gibt es eine Ausleihstelle für Ski und Rodel
und einen erstklassig funktionierenden Dienst für Pferdeschlittenfahrten. Übrigens sagt man,
dass die Bauernkinder hier mit den Bretteln an den Füßen zur Welt kommen. Bei dem
ausgezeichneten Skigelände ist es kein Wunder, dass viele unserer besten Skifahrer aus...
eben Şirnea stammen.
„Wir haben einen ganz schönen Umsatz“, meint der ehrenamtliche Verantwortliche des
Touristenamtes, Prof. Nicolae Frunteş. „Zeitweise müssen wir bis zu 400 Touristen
unterbringen und auch dafür sorgen, dass sie sich verköstigen können. Aber das ist unsere
kleinste Sorge.“ Die größere Sorge ist, alles zu tun, damit sich Sommerfrischler oder
Winterurlauber nicht langweilen. Denn: „Ausflüge und schöne Landschaft sind nicht genug.
Der Tourist muss auch etwas erleben.“ Und so organisiert man hier während des Jahres
mehrere Feste: im Juli das so genannte Milchausmessen – die „măsura laptelui“; da zieht
das ganze Dorf mit Kind und Kegel und den Gästen hinaus zur Sennhütte, wo der „Anteil“ an
Schafkäse verteilt wird. Und man zieht nicht mit leeren Tragsäcken hinaus: Sie sind gefüllt
mit Speck und Brot, mit Wurst und Schnaps – einem herrlichen Schnaps aus Tannenzapfen,
den man hier vorzüglich zu brennen versteht. Kaum ist die Verteilung zu Ende, spielen die
Musikanten zum Tanz auf.
Ein einmaliges Erlebnis soll hier die Silvesterfeier sein. Das Interesse am touristischen
Interesse hat die Bergbauern bewogen, alte und älteste Volksbräuche – die sich ja in dieser
abgelegenen Gegend gut erhalten haben – wieder „hervorzukramen“ und den Gästen eine
Schau zu liefern, die man so rasch nicht vergessen kann. Die Neujahrsfeier dauert
gewöhnlich zwei Tage und zwei Nächte, und der Tannenzapfenschnaps ist bei dieser
Gelegenheit – heiß aus dem Kessel geschöpft – frei. „Zu Neujahr hatten wir 125 Gäste aus
dem Ausland im Quartier“, ergänzt Prof. Frunteş. „Für kommendes Silvester haben wir
bereits 80 Vorausbestellungen – mit Vorschusszahlung, versteht sich.“
Dass man hier im kleinen Bergdorf auch ganz groß planen und vorausdenken kann, beweist
die allerjüngste Aktion: Für Mitte September luden die Bergbauern, nach Absprache mit dem
Verband, die Amateurfotografen zu einem Wettbewerb zum Thema „Das touristische Dorf
Şirnea im Bild“ ein. Den Fotografen wurden nicht nur Bergführer zur Seite gegeben, die
ihnen alles Sehenswerte zu zeigen hatten – es wurde im Kulturheim auch eine Art
Wettbewerb zum Thema „Die schönsten Volkstrachten“ ausgetragen. Den Teilnehmern am
Foto-Wettbewerb sicherte die Dorfgemeinschaft die Transportspesen und freie Unterkunft
und Beköstigung. Die drei ersten des Wettbewerbs erhielten je eine Woche freien Aufenthalt
in Şirnea – winters oder sommers, wie sie es wünschen.
Nebenbei sei gesagt, dass es im Dorf keinen besoldeten „Verantwortlichen“ für Touristik gibt.
„Ist die Straße im Winter befahrbar?“ wollen wir noch wissen.
„Immer“, sagt Prof. Frunteş. „Wir halten sie in tadellosem Zustand.“
„Man könnte sie doch asphaltieren.“
„Gott bewahre! Der ganze Reiz wäre dahin, wenn der Massentourismus einsetzen würde.
Wir wollen hier ein Stückchen Abgeschiedenheit unverdorben erhalten – für all jene, die
diese suchen.“
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 73, S. 33 – 36)
Seite | Bildunterschrift |
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33 | Dorfskizze mit den kürzeren Wanderpfaden. |
35 | Breitgestreut die Häuser von Şirnea. |