Verschnaufpause für Autofahrer
von Erhard Mathias
Als angenehme Abwechslung für wegmüde (sprich: automüde) Fahrer bietet sich die wild-
romantische Umgebung von Călineşti an. Călineşti liegt etwa 10km nördlich von Brezoi
(Lotru-Mündung).
In den letzten Jahren machte ich es mir zur Tradition, jedes Frühjahr die Gegend von
Călineşti zu durchstreifen, das erste zarte Grün, die zahlreichen blauen Leberblümchen am
Fuße der Felstürme wie so vieles andere als erste Frühjahrsboten in Augenschein
zunehmen.
Dem von Norden kommenden aufmerksamen Beobachter empfehle ich, kurz nach dem
Kloster Cornet auf eine Eisenbrücke zu achten (Călineşti-Bach). Von hier öffnet sich die
Perspektive nach rechts, steile Felsen und Türme ragen über die Häuser der Siedlung.
Obwohl die Forststraße im Călineşti-Tal zum Fahren auffordert, empfiehlt es sich, zumindest
den oberen Teil des 4 km langen Engtales zu durchwandern. Die ganze Strecke entlang wird
der Blick bald rechts, bald links von absonderlichen Felsgebilden angezogen. Zahlreiche,
phantasievoll gebaute Konglomerattürme streben aus den Berglehnen himmelan. Ihre Höhe
erreicht bisweilen eine Seillänge (40 m). Im oberen Teil der Klamm wandelt sich das
Landschaftsbild. Die Felszacken werden kleiner und häufiger, schließen sich zu Felswänden,
beispielsweise Pietrele Mari, Hoaga ânfundată, Blejeni. Beim letzten Haus der Siedlung
Valea Suliţei (Tal der Lanzen!) weitet sich das Tal plötzlich und bezeichnet so den Übergang
vom Konglomerat zum kristallinen Schiefer des Lotru-Gebirges.
Noch wilder und zerklüfteter als das Călineşti-Tal ist die Umgebung des Băiatului-Tales, aus
der Dorfmitte von Călineşti zu Fuß erreichbar. In diesem Bach soll einst bei Hochwasser ein
Junge ertrunken sein, daher der Name. Hinter den letzten Häusern weitet sich eine herrliche
Wiese, vom kristallklaren Bächlein durchflossen. Die Wiese bildet ein liebliches Gegenstück
zu den schroffen Felsen und lädt zum Zelten ein. Von der Wiese kann man die ersten
Felstürme erblicken, unwillkürlich drängt sich ein Vergleich mit dem Elbsandsteingebirge auf.
Wer mehr sehen will, dem ist folgende Tour zu empfehlen: Am Băiatului-Bach, etwa 300 m
aufwärts, wird das Tal enger und wandelt sich zu einer wilden Klamm mit senkrechten
Felswänden. Ein rauschender Wasserfall, zum Teil wegen der überhängenden Felsen nicht
sichtbar, hat unten regelrechte Badewannen aus dem Fels gewaschen. Auf der rechten Seite
ist ein Stück Wand ausgebrochen und bildet eine Spalte, in der man emporsteigen kann.
Man steht nun über dem Wasserfall und hat einen Rückblick auf die wilde Klamm. In
entgegengesetzter Richtung sind die Pietrele Moşilor sichtbar. Im oberen Teil der Klamm
machten unsere Kletterer von den „Bergfreunden“ Sibiu eine interessante Seillänge. Die
nächste Seillänge vereitelte das unvermeidliche Frühjahrsgewitter. Der ungeübte Fußgänger
sollte sich nun zufrieden geben und umkehren.
Oberhalb der Klamm weitet sich das Tal. Nach etwa 100 m kommt von rechts ein kleines
Rinnsal, das aufwärts verfolgt wird. Der anfängliche Jungwald, der das Vorwärtskommen
erschwert, geht bald in ältere Bestände über. Hier verlässt man das Rinnsal und steigt steil in
der Falllinie am rechten Hang empor, bis der Grat erreicht wird. Nach Süden fällt das Terrain
in Steilstufen zur Băiatului-Klamm. Nördlich ist noch eine Steilstufe mit Vorsicht zu ersteigen
(Schwindelfreiheit nötig!), dann steht man einer Terrasse mit wundervollem Ausblick auf das
Dorf Călineşti, im Hintergrund das Cozia-Gebirge.
Nach Norden verfolgt man einen schmalen, waagerechten Felsgrat etwa 50 m, quert, auf
derselben Höhe bleibend, nach Osten den Buchenwald, bis man auf einen gut sichtbaren,
östlich verlaufenden Kammweg gelangt. Der Buchenwald macht Birken und Jungkiefern
Platz. Eine kleine Lichtung gibt den Blick auf die nördlich der Şuşula-Schlucht gelegenen,
etwa zwei Seillängen hohen Felstürme frei. Die imposantesten sind: Piatra Spintecată – ein
Kamm durchzieht senkrecht den Felsturm, Pietrele cu Haine – oben wachsen Bäume, und
Piatra Văcarului – der starke Überhang an der Basis dient den Kuhhirten als Regenschutz.
Diese Türme dürften eine Herausforderung für Kletterer sein, jedoch ist das Gestein ziemlich
brüchig, ansonsten aber ohne Spalten (Bohrhaken!). Östlich des „Ausblicks“ gelangt man in
einen Sattel, wo der Pfad um 90° nach rechts drehend sich talwärts wendet. Links bleibt ein
bizarrer Felskopf, etwa 20 m hoch, an die Sphinx erinnernd. Ein kurzer, bequemer Abstieg
bringt einen wieder zum Ausgangspunkt, auf die Wiese im Băiatului-Tal.
Abschließend ein kurzer Abstecher in die Geologie: Călineşti liegt im Brezoi-Titeşti-Becken,
welches, beginnend mit der oberen Kreidezeit, einen Meeresgolf bildete. Gebirgsbäche
brachten Geröll, Schotter und Sand. Durch Verfestigung entstand Breckzie (eckige
Fragmente = Băiatului-Klamm), Konglomerat (abgerundete Fragmente = Valea Suliţei),
Sandstein (in Călineşti). An den Gesteinsfragmenten (kristalliner Schiefer) erkennt man ihren
Ursprungsort – die umgebenden Gebirge.
Die Călineşti-Felsen gehören, wie so viele andere wilde, wenig bekannte Gegenden, zum
Kreis Vâlcea. Eine ganze Kette von Felsabstürzen durchzieht die Vâlceaer Berge, um nur
einige zu nennen: Cozia – 1664 m aus Gneis, Năruţu – 1510 m, ebenfalls Gneis, Buila-
Vânturariţa – 1869 m, aus Kalkstein, und Târnovul – im Latoriţa-Becken, 1880 m, Kalkstein.
Hier warten noch geheimnisvolle Höhlen und 200 m hohe Wände auf ihre Erstbegeher!
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 73, S. 149 – 152)
Seite | Bildunterschrift |
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150 | Steingebilde beim Roten-Turm-Pass: „Pietrele cu Haine“ (links), „Piatra Văcarului“ (rechts). |
151 | Orientierungsskizze für die Umgebung von Călineşti. |
152 | Rastpause |