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„Terra Nigra“ aus der Moldau

von Herbert Hoffmann

„Also, da braucht man zunächst ein Wagenrad. Das legt man inmitten jener Fläche, wo der Brennofen errichtet werden soll. In einem Abstand von etwa zwei Spannen werden nun anderthalb Meter lange Pflöcke in den Boden getrieben und schließlich deren obere Enden derart mit der Radfelge verbunden, das ein Kegelstumpf in Form einer eingestülpten Fellmütze entsteht.“ So erklärt uns Meister Stefan, wie man einen Töpferofen ganz besonderer Art baut, mit dessen Hilfe nicht die übliche rote Irdenware, sondern die bekannte tiefschwarze Keramik von Marginea hergestellt wird.
Bei diesen Erzeugnissen unterscheiden sich nämlich nicht nur die Form, die Verzierungstechnik und das Aussehen der fertigen Gefäße. Verglichen mit Schöpfungen nahegelegener Zentren wie Radautz und Tansa, die teilweise bunte Malerei und glänzend spiegelnde Glasuren aufweisen, gibt es hier vielmehr strukturelle Unterschiede. Und zwar geht es um einen chemischen Vorgang – die Oxidation. Die Töpferwaren, die uns üblicherweise auf den Märkten angeboten werden und einen ziegelroten Scherben aufweisen, entstehen im sogenannten Oxidbrand. Die schwarzen Gefäße dagegen, die schon in vorgeschichtlichen Zeiten in mehreren Gegenden Europas hergestellt wurden und auch bei den Römern unter dem Namen Terra Nigra bekannt waren, werden „geschmaucht“, das heißt, sie werden erst etwa vier Stunden hindurch in der allgemein üblichen Brenntechnik gebrannt und hernach weitere vier Stunden sozusagen geräuchert, indem man die obere Öffnung mit Scherben und Lehm verschließt, möglichst hermetisch abdichtet und die Gefäße nun diesem geschlossenen Brand aussetzt.
Das Ergebnis ist ein schwarzer Scherben mit graubrauner Bruchfläche. Diese schwarzen Töpferwaren werden nun schon seit undenklichen Zeiten von vielen Töpfergenerationen hier in Marginea im Suceviţa-Tal und unweit des Klosters gleichen Namens (das durch seine bewehrten Mauern und die Schönheit seiner Lage und nicht minder seiner Wandmalereien zu den bedeutendsten Baudenkmälern der Nordmoldau gehört) erzeugt.
Wie man den Ofenbau beginnt, haben wir eingangs erfahren. Da es sich dabei um eine besondere Brennvorrichtung handelt, die besonders hohen Beanspruchungen ausgesetzt ist, müssen die Wände entsprechend dick gehalten sein, und dieses erreicht man dadurch, dass um den schon beschriebenen Kegel ein Rutenzaun errichtet und der entstehende Zwischenraum mit gestampfter Erde aufgefüllt wird, wobei lediglich ein Feuerloch ausgespart wird.
Früher mag man auch hier in die Erde selbst gegrabene Brenngruben verwendet haben, doch ist das Beheizen derselben und auch die Instandhaltung wesentlich unbequemer als im Falle der heute benutzten Brennöfen. Bequem! Was kann man bei einem Gewerbe in den Bereich der Bequemlichkeit rechnen, bei dessen Ausübung der Handwerker von früh bis spät – sei es mit Händen und Füßen den nassen und kalten Ton bearbeitet – im zugigen Brennschuppen in der Nähe eines Rauch und Hitze speienden Lehmhügels, dem Ofen nämlich, verbringen muss, um schließlich die noch brennheißen Töpfe daraus herauszuholen und diese schließlich auf schlechten Straßen zu weit abgelegenen Marktflecken zu befördern, und all dieses um ein paar Nickel... Nein, führwahr das Töpferhandwerk war nie eine leichte Sache. Und nur in solchen Gegenden werden wir Töpfereizentren finden, in denen es keine anderen Arbeitsmöglichkeiten gab oder wo die Landwirtschaft dermaßen unergiebig war, dass selbst all die aufgezählten Mängel einen jungen Burschen nicht abschrecken konnten, diesen Broterwerb zu wählen.
Wenn wir vor diesen schlanken und wohlproportionierten Milchkrügen und Näpfen, Kannen und Schüsseln stehen, die uns die Wahl schwer werden lassen, denkt wohl keiner an die Mühen, die in solch einem Stück gekneteter und gebrannter Erde enthalten sind. Niemand bedenkt, was es heißt, zunächst den möglichst reinen Ton aus mehreren Meter Tiefe heraufzuholen und über viele Kilometer von der Lehmgrube ins Dorf zu schaffen. Hier muss der rohe Ton nun den Winter über gelagert werden, um hernach die nötige Elastizität zu besitzen. Und schließlich muss er zu einer einheitlichen Masse verknetet werden, aus der man mit dem Ziehmesser jeden kleinsten Fremdkörper herausholt, der dem Tongefäß zum Verhängnis werden könnte. Jedes Steinchen oder jede Wurzel, die in die Tonpaste gelangen, hinterlassen nach dem Brand tiefe Spuren in der Gefäßwand. Ersterer wirkt wie eine Sprengladung und bringt häufig die Wand selbst zum Bersten. Letztere ergeben scheinbar unbeachtliche undichte Stellen, die jedoch für Behälter genauso fatal sind wie ein Sprung. Beide Schäden machen die Ware unverkäuflich, selbst wenn sie auf den ersten Blick im Aussehen makellos erscheinen mag.
Ist Ton in feinste Schnitzel zerschnippelt, wird er noch einmal tüchtig durchgeknetet und ist damit formreich und modellierbar. Mit sicherem Griff holt sich der Töpfer Kloß um Kloß aus dem Haufen Ton. Und nun geht’s ans Werk an der Töpferscheibe. Während der Fuß diese in Schwung bringt, schlägt die Rechte einen der aufgereihten Tonklumpen in die Mitte der glatten Scheibe und drücken ihn fest, um zu verhindern, dass er sich während des Formens verschiebe. Beide Hände braucht der Töpfer dagegen, um ihn „in die Mitte“ zu bringen. Und nun beginnt aus dem unansehnlichen Tonkloß die schlanke Silhouette des Kruges aufzusteigen, gezogen und gehoben von schwieligen Händen. Hier nun scheinen diese harten wie aus Holz gemeißelten Hände den samtig-glatten Ton zu liebkosen. Alte, arbeitgewohnte Bauernhände kneten und formen einen vorweltlichen, aus urtümlichem Gestein versinterten Lehm, den andere als wertlos mit Füßen treten und höchstens als Morast bezeichnen würden.
Wenn man das erste Mal eine Töpferwerkstätte betritt, scheint hier alles gelblich-grau, staubig und abstoßend. Ist man erst dem Krug und seinem Meister näher gekommen, sieht man längst in all diesem gelblichen Staub und der grauen Paste Träger kommender Schönheit, werdender Formen. Nicht umsonst benutzen die Legenden über die Schöpfung des Menschen das Bild des modellierenden Töpfers, der aus Lehm „nach seinem Bilde“ das erste Menschenpaar formt. Es gibt wohl wenig Gewerbe, bei denen die Persönlichkeit des Schaffenden so unmittelbar mit dem Werk der Hände verquickt ist wie das Töpferhandwerk. Vielleicht auch dadurch, dass das entstehende Gefäß seine Entwicklungsphasen unter unseren Augen so schnell durchläuft wie vor der Linse eines Zeitraffers. Kaum hob sich der Standring von der formlosen Tonmasse ab, wachsen auch schon die Wände empor und erweitern sich zum aufnahmebereiten Kelch des Gefäßmundes.
So reihen sich Seite an Seite bald viele hundert von grauen Gefäßleibern auf den Trockenborden oberhalb des Ofens und verlieren gleichzeitig mit der Feuchtigkeit auch ihr sattes Braungrau. Nun ist es Sache der Frauen, den bauchigen Teil des Kruges mit spiraligen Gebilden zu verzieren, die man mit Hilfe eines glatten Kiesels auf die Wand aufreibt. Dort, wo der Stein dieselbe berührte, wird der Ton glatt und poliert und erhält nach dem Brand silbrigen, graphitartigen Glanz. Man kennt bei diesen einfachen und urwüchsigen Formen auch nur einfache, buchstäblich „lapidare“ Ziermuster. Gerade und Wellenlinien, Bogen und Spiralen, Ornamente eines frühgeschichtlichen Motivrepertoires, als wie der Ton selbst, und einfach wie die Mentalität der Männer und Frauen, die diese Kannen, Krüge und Näpfe formen, verzieren und brennen.
Nachher treffen wir sie dann auf dem Markt in Radautz oder Suceava an – voll sattgelber sahniger Milch oder mit aromatischen Waldhimbeeren gefüllt, die aus den Wäldern der Schwarzen Karpaten kommen, wo es noch Hirsche und Bären gibt und wo die Köhler aus saftigen Zweigen und Stämmen ihre Kohle brennen, die im Aussehen diesen Krügen so ähnlich ist wie ein Bruder dem anderen. Beide sind schließlich „geschmaucht“ und beide waren immer seltener dort, wo die städtische Zivilisation mit Elektrizität und Luxusgeschirr ihren Einzug hält.
Aktuell bleiben jedoch beide für Kenner und Feinschmecker, denn in keinem Gefäß wird eine Bohnensuppe so schmackhaft wie in einem aus unglasiertem Ton und kein Rostbraten wird so lecker wie auf Kohlenfeuer. Wer’s nicht glaubt, komme nach Marginea in der Nordmoldau...

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 73, S. 245 – 248)

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247 Schwarzkeramik aus Marginea
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