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Die Schatzgräber von der Poiana Gropii

Reschitzaer Amateurspeläologen entdecken den tiefsten Naturschacht Rumäniens

von Georg Hromadka

Der Banater Karst ist in unserem Land das ausgedehnteste Kalksteingebiet von touristischem Interesse. Seine Grenzen liegen im Norden bei Reschitza, im Westen bei Orawitza, im Süden an der Donauenge (Klissura), im Osten bei Mehadia. Von Reschitza bis Neumoldowa an der Donau zieht sich ein etwa 70 Kilometer langer Streifen von verschiedener Breite hin – reiner Kalkstein. Dolinenübersäte Wiesen und Mischwälder bedecken den Banater Karst. Engtäler durchqueren ihn (die großartigsten: die Karaschklamm, die Neraklamm und die Gerlischter Schlucht). Von diesen zahllosen Höhlen sind etwa 130 durchforscht (die Tropfsteinhöhlen von Komarnik und Popovăţ gehören zu den schönsten des Landes und stehen unter Naturschutz). Noch nicht gänzlich erfasst sind die Naturschächte dieses Gebiets. Erst vor wenigen Jahren erhielt die Höhlenforschung im Banater Karst ihre „vertikale Dimension“. Das geschah, als eine Gruppe junger Amateurspeläologen aus Reschitza in der Nähe ihrer Heimatstadt den tiefsten Naturschacht Rumäniens entdeckten und erforschten.

So fing es an: Im Sommer 1959 fanden drei junge Reschitzaer Touristen im rechtufrigen Hang der Karaschklamm eine Höhle, von deren Existenz bis dahin vermutlich nicht einmal die Kraschowänerhirten wussten. Die Höhle war unberührt. Ihre Entdecker hießen Reimar Pauler, Günther Karban und Tiberiu Bancsov. In der Suche nach neuen unterirdischen Abenteuern waren die jungen Leute auf die Höhle gestoßen. Unter sich nannten sie „ihre“ Höhle nicht ohne Stolz „PKB-Höhle“ (P = Pauler, K = Karban, B = Bancsov). Wenige Jahre später erforschten rumänische Speläologen die neu entdeckte Höhle. Sie fanden sie würdig, den Namen „Racoviţa-Höhle“ zu tragen (nach Emil Racoviţa, dem rumänischen Höhlenforscher von europäischem Ruf).
Auf ihren Streifzügen durch den Reschitzaer Karst kamen die drei Bergsteiger mit Jägern, Fuhrleuten und Hirten in Berührung. Von einem Wildheger, dem Cuptoraner Treboianu, erfuhren sie, dass es hinter Cuptoare (einem südöstlich von Reschitza gelegenen Dorf), unweit des markierten Waldwegs, der von der Poiana Bichii zur Crivaia führt, in der Poiana Gropii, eine Höhle gibt. Die „groapă“ sei sehr tief. Wenn man Steine hineinwerfe, poltere es noch viele Sekunden lang. Niemand habe sich bisher getraut, in den grausigen Schlund zu steigen.
Die „groapă“ war bald gefunden. Günther Karban erzählt: „Es war im Herbst 1961. Wir waren wieder unser drei. Nach dem, was uns der Wildheger gesagt hatte, musste die Höhle am bewaldeten Westhang des Ghindieş, nicht weit von der Karstquelle Fântâna lui Franz, liegen. Streifen um Streifen kämmten wir den Wald durch. Da ein Jodler und ein Ruf: Hier ist sie! Tatsächlich: Am Ende eines Tälchens, das von einem Felsen abgeriegelt wird, gähnte der Schlund. Fürs erste begnügten wir uns damit, mit Steinen die Tiefe auszuloten. Sie kam uns beträchtlich vor. Aber wer hätte gedacht, dass uns dieser Schacht (denn um einen Naturschacht handelte es sich hier) von nun an so intensiv beschäftigen, dass er uns so viele freie Arbeitstage, so viele durchwachte Nächte kosten würde!“
Unsere drei jungen Höhlensucher nannten den Erdschacht „Avenul din Poiana Gropii“. Sie ahnten nicht, dass sie mit der „groapă“ den tiefsten Naturschacht Rumäniens entdeckt hatten.
Alte Cuptoraner erzählen, ein Sekuler Bergmann sei einmal in die „groapă“ eingedrungen. Tief unten sei er auf ein Gitter gestoßen. Dahinter habe er einen seltsam leuchtenden Stein erblickt – und auf dem Stein ein strahlendes Marienbild aus purem Gold. Er habe sich des Bilds bemächtigt und es heimlich nach Hause geschafft. Aber schon in der darauffolgenden Nacht sei es wieder verschwunden. Im Traum habe eine Stimme den Bergmann gewarnt: Schlimmes erwarte ihn, wenn er das heilige Bild nicht in Ruhe lasse. Der Kumpel jedoch habe nicht auf die Stimme gehört, sei noch einmal in die „groapă“ gestiegen und habe das Bild zum zweiten Mal geraubt. In der darauffolgenden Nacht sei dann sein Haus bis auf den Grund abgebrannt. Der Kumpel sei in den Flammen umgekommen...
Natürlich glaubt heute kaum noch jemand an die Legende. Aber es gibt Cuptoraner, die davon überzeugt sind, dass in der Höhle ein Schatz verborgen ist. Was mussten sich diese Leute denken, als sie im Herbst 1961 (und in den folgenden Jahren immer wieder) am Wochenende eine Gruppe junger Reschitzaer (erst waren es drei, dann verdoppelte und verdreifachte sich die Zahl) mit schwerbepackten Rucksäcken und allerhand Gerät im Wald verschwinden und mit demselben schweren Gepäck, aber nicht in demselben sauberen Zustand wieder auftauchen sahen? Was werden sie gesagt haben, als sie erfuhren, dass sich die jungen Bergsteiger bei der Poiana Gropii zu schaffen machen? Sie werden die Köpfe geschüttelt und gesagt haben: „Die wollen gewiss den Schatz heben.“
Unsere jungen „Schatzgräber“ aber trachteten weder nach Römer- noch nach Türkenschätzen. Das Fieber hatte sie gepackt – das Höhlenfieber. Sie dürsteten nach Entdeckertaten. Ihre Sportlerpassion hatte sich in eine richtige Forscherleidenschaft verwandelt. Durch fleißiges Studium der Fachliteratur hatten sie sich mit den Problemen der modernen Höhlenforschung (der Speläologie) vertraut gemacht. Sie hatten sich spezialisiert, hatten die Forscherrollen unter sich verteilt: die des Naturalisten, des Geologen, des Topographen, des Fotografen, des Technikers usw. Nur mit der technisch-materiellen Ausrüstung haperte es. Sie war rudimentär. Als sie sich mit der „groapă“ einließen, verfügten die jungen Höhlenforscher über nicht viel mehr als ein Seil und ein paar Mauerhaken.
Von 1961 bis 1970 dauerte das „Unternehmen Poiana Gropii“. Als aktive Forscher bewährten sich in dieser Zeit der Montageschlosser Günther Karban (heute 27 Jahre alt), der Elektriker Eugen Krasznek (25), der Techniker Heinz Kopetzky (31), der Techniker Reimar Pauler (30), der Schlosser Helmut Schuscha (30), die Ingenieurin Viorica Vancu (31), der Beamte Horst Neff (30), der Elektriker Reinhold Ribarsky (22), der Beamte Nicolae Murgu (27).
Noch im Herbst 1961 erreichte Heinz Kopetzky eine Tiefe von 19 Metern (die „Heinz-Stufe“). Tiefer zu dringen, erlaubte das Seil nicht. Wichtig aber war, dass man nun wusste: Es geht noch tiefer hinunter. Das spornte an.
Mit viel Begeisterung, aber immer noch unzulänglichem Material wurde das Unternehmen im Sommer 1962 wiederaufgenommen. „Wir sicherten das verlängerte Seil an zwei Baumstämmen und fuhren mit einer Art Sessel in die Tiefe“, berichtet Günther Karban. „Später verfertigte Horst Neff einen Aufzug. Das war für die am Höhleneingang operierende, Fördermannschaft eine große Erleichterung. Wir erreichten 45 Meter. Mit Hilfe einer selbstgebastelten Strickleiter kamen wir noch im Herbst auf 60 Meter. Es war kalt im Schacht, aber der Gedanke, dass das Ende der Höhle noch nicht erreicht ist, erwärmte uns.
Einen weiteren Vorstoß brachte das Jahr 1963. Zwei „in eigener Regie“ aus Stahlkabel hergestellte Leitern ermöglichten den Abstieg in 130 Meter Tiefe.
Es stellte sich aber heraus, dass man nun ohne Schutzhelm nicht mehr arbeiten konnte. Zu gefährlich war der Steinschlag.
1964 war das Jahr der Vorbereitungen. Mit neuen Kräften und erneuerter Ausrüstung (Leitern aus Grubenkabel, Kopflampen usw.) installierte sich die Mannschaft Anfang September 1965 im Zeltlager vor der „groapă“. Der Angriff begann am 4. September. Nach fünfzehnstündigem hartem Kampf mit der Dunkelheit, dem rauen Fels, dem kalt-klebrigen Schlamm, dem lockeren Gestein, dem eiskalten Wasser war das Ende des Schlunds erreicht: 222 Meter tief!
Damit aber war die Erforschung des Naturschachts Poiana Gropii noch nicht abgeschlossen. Ein zweiter Schlund, der in 52 Meter Tiefe vom ersten abzweigt, wurde untersucht – vorerst bis auf 47 Meter.
Ihren krönenden Erfolg verzeichneten die tapferen Erforscher der Karst-Unterwelt im Herbst 1966, als sie im zweiten Schlund die vorläufig endgültige Tiefe erreichten: 235 Meter. Bei diesem Unternehmen war es (genauso wie 1965) nötig, ein Tiefenlager zu errichten. Diesmal aber war die Verbindung mit dem Basislager am Höhleneingang telefonisch gesichert.
Die folgenden Jahre brachten die Entdeckung und Erforschung eines dritten, 174 Meter tief reichenden Schlunds, eines zweiten Zugangs zum „Mausloch“ im ersten Schlund (über die etwa 50 Meter abfallende „Schreckensstufe“) sowie eines Verbindungsgangs zwischen den beiden Hauptschlünden.
Eine ungefähre Vorstellung von den unterirdischen Schönheiten des Naturschachts Poiana Gropii vermitteln uns Namen wie „Kanzel“ (von wo aus der Blick in einen unheimlichen Abgrund gleitet), „Tropfsteinparadies“ („Colţ de rai“, ein mit herrlichen Sinterformationen geschmückter Winkel des Schachts). Benennungen wie „Schreckensstufe“, „Mausloch“ (nur schlanke Leute kommen hier durch), „Große Vertikale“, „Höllengalerie“, „Badestube“ (in der Günther Karban ein unfreiwilliges Bad nahm, bevor der Tiefpunkt erreicht war) erinnern an die Schwierigkeiten und Gefahren des Unternehmens, die mit Mut und Humor überwunden wurden.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 73, S. 263 – 266)

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265 Kartenskizze: Avenul din Poiana Gropii.
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