von Lia Gross
Lacul Roşu – Luftkurort in rund 980 Meter Höhe im Gurghiului-Massiv. Sommers kann man im See (Gyilkos-[Mörder-]See oder Lacul Roşu [Roter See]) baden, Boot fahren und in der Umgebung wandern: von kurzen Spaziergängen bis zu ausgedehnten Tagesausflügen. Eine an Wanderwegen und schönen Wanderzielen reiche Gegend. Im Winter kann man wandern und Ski laufen. Anfahrt von Gheorghieni (an der Bahnlinie Braşov – Ciceu – Deda). 26 km gute Straße. Busverbindung.
Ausgangspunkt unseres winterlichen Ausflugs ist Gheorghieni, die Stadt beim Kältepol unseres Landes. Der Weg ist einmalig. Nachdem man aus dem Ort draußen ist, beginnen allmählich ansteigende, weit geschwungene Serpentinen. Es ist ein breites Tal, das man unter sich lässt. Die ganze Zeit über hat man eine wunderbare Aussicht nach allen Seiten; der Weg, der weit, weit zu übersehen ist, klettert allmählich auf rund 1200 Meter Passhöhe (Pângăraţi). Dann geht’s auf der anderen Seite wieder bergab. Wieder in großen Serpentinen. Aussicht hat man aber nur nach oben, auf die Bergspitzen. Wir fahren durch dichten Tannenwald, der jede Sicht nach vorne, nach unten versperrt. Doch plötzlich tritt der Wald zurück, und dem Auge bietet sich die liebliche Aussicht auf ein breites, von Bergrücken umgebenes, bewohntes Tal. Sind wir schon da? Aber wo ist der See? Linker Hand sehen wir eine große, tief verschneite Fläche, aus der die dem Gyilkos-See so charakteristischen Baumstümpfe herausragen. Aha, zugefroren und schneebedeckt ist er. Schade!
Nachdem wir in einer der Villen untergebracht sind, stellt sich sofort die Frage: Was nun?
Hinauf oder hinunter? Denn die Zeit ist knapp, zwei Tage vergehen im Nu; um so viel wie
möglich zu sehen, muss man die kurzen Wintertage voll ausnützen. Die Mehrheit
entscheidet: Wir gehen bergauf. Bestimmt bietet sich uns oben an einem so klaren Tag wie
heute eine herrliche Aussicht.
Gesagt – getan. Wir machen uns auf, den Suhardul Mic zu besteigen. Anfangs ist der Weg
nicht allzu beschwerlich, ein sanft ansteigender Tannenwald. Immerhin hat auch dieser
normalerweise leichte Weg im Winter seine Tücken. Geröll, Äste, Eisflächen, alles unter
einer dünnen Schneeschicht versteckt, lässt uns oft Bekanntschaft mit dem Boden machen.
Das letzte Wegstück ist beschwerlicher – weil steil und tiefer verschneit –, aber kurz. Alles in
allem haben wir von unserer Villa bis hinauf kaum mehr als eine halbe Stunde gebraucht.
Und dann sind wir oben. Schnappen einmal tief nach Luft und... schweigen! Die Aussicht, die
man an klaren Tagen hier hat, ist nicht in Worte zu fassen. Nicht einmal ein Foto sagt da
genug. Man muss es erlebt haben.
Obwohl der Suhardul Mic nicht sehr hoch ist (1352 m), bietet er dadurch, dass er ziemlich
frei steht, eine Aussicht wie selten ein Berg. Allmählich erholen wir uns, erwachen aus der
Starre, beginnen zu registrieren; die Zungen lösen sich, wir machen uns gegenseitig auf
Einzelheiten aufmerksam. Die Fotografen unserer Gruppe haben Festtag. Sie knipsen und
knipsen und hören erst auf, wenn kein Film mehr da ist. Verständlich! Wir können über die
Bicaz-Klamm hinweg bis zum Ceahlău sehen; neben uns der Suhardul Mare und der
Gyilkos, von wo sich vor 135 Jahren ein Teil losgelöst hat, hinuntergerutscht ist und dem
Wässerchen, das damals floss, den Weg versperrte, so einen einzigartigen natürlichen
Stausee bildend, aus dem auch heute noch die Reste des mit herab gerutschten Waldes
herausragen. Rundum – soweit das Auge reicht – Berge, eine Bergkulisse hinter der
anderen, je weiter, desto heller, unschärfer, durchscheinender... Unten das Tal, der See, die
Häuser, die Menschen wie Ameisen so klein... Erst als es zu dunkeln beginnt, können und
müssen wir uns entschließen, diesem schönen Flecken Erde ade zu sagen.
Am Tag darauf schneit es. Wir gehen in die Bicaz-Klamm. Es ist gar nicht weit bis hin. Der
Weg führt allmählich bergab, man merkt es kaum.
Erst kommt eine Art Vorklamm, kurz und breit, dann ziehen sich die Wände zurück, werden
schräger, sind bewachsen, und plötzlich kommt ein Tunnel, etwa 40 Meter lang. Gleich
dahinter hat man das bereits klassisch anmutende Bild der Bicaz-Klamm vor Augen, das
man kennt, auch ohne jemals dagewesen zu sein: Der Weg führt in fünf großen Serpentinen
hinab. Ein enger Durchgang, nur für Weg und Wasser. Rechts und links davon senkrechte,
hohe, glatte Wände. Wir schreiten staunend hindurch. Bald liegt die atemberaubende Enge
hinter uns. Die Klamm wird wieder breiter. Man holt tief Atem, man sieht noch einmal zurück
und wundert sich, dass einen die Felswände nicht erdrückt haben.
Bei einer scharfen Linksbiegung kommt genau von vorne der Bicăjel durch seine Klamm,
eine wenig begangene Gegend, weil kein Weg und kein Steg da durchführen. Will man
dennoch die Bicăjel-Klamm erforschen, muss man nasse Füße in Kauf nehmen, denn
stellenweise gibt’s keinen anderen Weg als eben den Wasserlauf. Wer es jedoch wagt
(nasse Füße besser im Sommer!), wird die wildromantische Klamm als einen der
Höhepunkte dieser Gegend in guter Erinnerung behalten.
Wir allerdings bleiben in der Bicaz-Klamm. Noch einmal verengt sie sich (beim so genannten
Höllenschlund), noch einmal zwängen sich Wasser und Weg auf engstem Raum durch die
himmelhoch strebenden Wände. Stellenweise musste man sogar sprengen, um für den Weg
Raum zu schaffen.
Wenn man die senkrechten, manchmal sogar erhängenden Wände betrachtet, fragt man
sich unwillkürlich, welche Säge wohl dieses Werk vollbracht hat, welcher Hobel die Fuge für
dieses kleine Wässerchen in den Stein gehobelt hat. Und es kommt einem nicht zu glauben,
dass es das Bächlein selbst gewesen ist, das in Jahrmillionen andauernder Beharrlichkeit
dieses Wunder vollbracht hat.
Am Ende unseres Weges durch die Klamm steht ein Eispalast in Miniatur. Da war einmal
eine kleine Quelle mit steilem Gefälle, aber nicht allzu viel Wasser. Sie tröpfelte und rieselte
jahraus-jahrein still vor sich hin, und wurde von den Vorbeiziehenden wahrscheinlich kaum
wahrgenommen. Was hat nun der Frost aus ihr gemacht? Einen funkelnden Eispalast, wie
man ihn sich schöner gar nicht vorstellen kann, die feinste Filigranarbeit, die in der eben aus
den Wolken tretenden Sonne in allen Farben leuchtet, funkelt, Reflexe wirft, wie wenn alles
aus Diamanten bestünde. Und alles ist voll Leben, denn es rinnt und tröpfelt ununterbrochen
weiter, hier wird angebaut, drüben weggewaschen. Kommt man morgen hier vorbei, sieht
der Eispalast ganz anders aus, doch solange der Frost anhält, wird auch dieses kleine
Wunderwerk weiter leben.
Seltsam – kein Fotograf rührte einen Finger, um dieses funkelnde Leben auf Film zu bannen.
Unwillkürlich haben sie wohl empfunden, dass selbst der beste Fotograf hier machtlos ist,
dass auch das schönste Bild hinter der Wirklichkeit bleibt.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 73, S. 198 – 201)
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200 | Lacul Roşu, zur Badezeit. |