Drei Tier-Episoden
Was uns so im eigenen Fell begegnen kann
von Alfred C. Schuster
Haben Sie schon dem lautlosen Flug einer Eule gelauscht, oder sich von einer Drossel aus der Nestnähe fortlocken lassen, oder dem Spiel der Rehkitzen zugesehen, Ameisen auf ihrem Kriegspfad verfolgt, ein Wiesel oder Eichhörnchen längere Zeit beobachtet?
An einem Spätnachmittag stand ich unterhalb der Ciuma-Spitze und guckte in die Westwand
des Königstein (Piatra Craiului). Da hörte ich ein Niesen, und als ich mich umdrehte, war es
ein Jungbär, drei Schritte hinter mir, der einen Rückwärtssalto tat und sich davon trollte. Ich
machte noch zwei Sprünge bis in die Wegbiegung und konnte nun das erschrockene Tier
sehen, das den Weg zurücklief, den es eben gekommen war. Ich musste laut lachen, denn
von rückwärts gesehen wippten Kopf und Hinterteil des Bären auf und nieder wie eine wild
gewordene Schaukel. Ein paar Sekunden nur sah ich ihn, denn bei der nächsten
Wegkrümmung lief er in den Wald, um sich von seinem Schreck zu erholen – genauso wie
ich es zwei Tage vorher getan hatte. Da bin ich gelaufen, und auch jetzt noch sträuben sich
mir die Haare im Nacken, wenn ich daran zurückdenke.
Ich ging unter der Ţagla-Spitze auf dem Hauptrücken des westlichsten Teils der Fogarascher
auf einem sehr selten begangenen Steig. Hinter einer großen umgefallenen, sehr dichten
Fichte sah ich einen rotbraunen Pelz im spärlichen Sonnenlicht aufleuchten, doch konnte ich
nicht erkennen, ob hinter der Fichte ein Reh oder ein Hirsch sei, wenigstens dachte ich so. In
der Hoffnung, das Tier aufzuscheuchen und ein Foto zu schießen, pfiff ich kurz und schrill,
erstarrte aber fast im selben Augenblick, denn mir schien, als rollte ein Donner durch den
Wald. So konnte nur ein böse gewordener Bär brummen, und in meinem Schreck klang es
mir wie Löwengebrüll. Als sich das Tier auch noch aufrichtete, machte nun ich fast einen
Rückwärtssalto und lief in Rekordtempo rund 40 Schritte zurück, um mit Windeseile auf
einen alten Jagdstand zu klettern. Als ich sah, dass Altmeister Petz mich nicht verfolgte,
kroch ich noch lange nicht herunter, sondern verzehrte mein Butterbrot, das ich im Rucksack
hatte; ich wollte dem Herrscher des Reviers Zeit lassen, mir den Weg frei zu geben, denn an
einem erneuten Wiedersehen war ich nicht sonderlich interessieret.
An einem Wintermorgen stand vor unserer Baracke im Olteţ-Tal ein kräftiger Sechsender
und ließ sich die ihm gereichten Brotschnitten gut schmecken. Dieser Hirsch, den wir Ilie
nannten, sollte uns nur einen Sommer lang erfreuen. Sein bester Freund wurde Herr Johann,
unser Bergbaumeister. Ilie folgte ihm wie ein Hund, sogar in die Stollen. Dauerten ihm die
Kontrollgänge des Meisters zu lange, machte er kehrt und fand den Weg auch ohne Lampe
zurück.
Eines Tages kam Ilie ins Dorf und da merkte er, dass der junge Mais, der Klee und das
Gemüse in den Gärten der Bauern viel besser schmeckt als Laub und Gras in den
Hochwäldern. Auch war das Spielen mit den Kindern auf der Gasse oder im Schulhof viel
lustiger, als vor einem Stollenloch auf Herrn Johann zu warten. Das größte Vergnügen aber
war, sowohl für Ilie als auch für die Kinder, wenn er den Jungen das kurz geschorene,
verschwitzte Haar lecken konnte. Die salzigen Haarborsten waren für ihn sicher ein Genuss
und für die zusehenden Kinder der Höhepunkt der Schulpausen.
Oft musste Ilie vor verärgerten Bauern flüchten, vor allem, wenn er ihren Gärten einen zu
ausgiebigen Besuch abgestattet hatte. Jedes Mal flüchtete er in den Hof, wo wir unsere
Büroräume hatten, denn er spürte, dass er hier geschützt war. Wir verteidigten ihn gegen
seine Verfolger, wenn es auch zu Streit mit den Bauern kam. Stundenlang konnten wir ihm
zusehen, wenn er mit Hunden spielte, aber auch wir waren seine Spielkameraden. Vor allem
machte es ihm Spaß, wenn er seine Kräfte mit einem von uns messen konnte.
Wurde in diesen Kämpfen einer von uns an die Wand gedrückt, suchte er sich jedes Mal
einen neuen Gegner aus. Unfaire Kämpfe verachtete er, denn jedes Mal, wenn er uns zu arg
anging, drückten wir ihm den Kopf hinunter, bis er mit den Nüstern den Boden berührte.
Dann war es leicht, ihm das Geweih nach einer Seite zu drehen. Geschah dies, so ging er
beleidigt fort, um sich andere Spielpartner zu suchen.
In der Brunstzeit verschwand Ilie, kam aber nach ein paar Tagen wieder. Und da machten
wir eine seltsame Beobachtung. Ilie unterschied uns Menschen nach Geschlecht. Zuerst
merkten wir, dass er einer Kollegin auf Schritt und Tritt folgte und stundenlang vor ihrer
Bürotüre ausharrte, was er sonst nie tat. Auch lief er jeder Frau nach, die auf der Straße
vorbei ging. Wir versuchten, ihn mit Biskuits, seiner Lieblingsspeise, zu ködern, doch der
Reiz des anderen Geschlechts war stärker. Als er Frauen gegenüber aggressiv wurde, luden
wir ihn auf einen Lkw und führten ihn wieder in den Hochwald.
Wir sollten ihn nie wiedersehen, denn eine Woche später kam ein Förster aus dem
Nachbardorf und erzählte, das Ilie wieder erschienen sei und eine Frau schwer verletzt habe,
was die Jagdbehörden veranlasste, ihn sofort zu erschießen.
An einem Sommermorgen sah ich im Văiuga-Kessel unterhalb der Vânătoarea-Spitze ein
Rudel Gämsen auf einem der letzten Schneefelder rodeln. Es wurde richtig gerodelt.
Obensetzten sich die verspielten Tiere, ob jung oder alt, auf ihre Hinterläufe, und in
schnellem Tempo ging es rund 200 Meter runter. Mit den Vorderläufen wurde gebremst und
gesteuert. Erst 2 – 3 Meter vor dem Schneefeldrand erhoben sich die Tiere und sprangen
aufs Trockene, und zwar immer an ungefährlichen Stellen, wo es mehr Gras als Steine gab.
Dann ging es am Rande des Schneefelds wieder hinauf bis zum Startplatz, und das Spiel
begann von neuem.
Nur zwei junge Kitzen wollten nicht rodeln. Um keinen Preis, trotz redlichen Bemühens ihrer
Mutter. Diese lockte die Jungen auf den Schnee, rodelte ihnen vor, immer nur ein paar Meter
und kam dann wieder zurück. Erfolglos. Nach längerer Zeit fasste das eine Kitz Mut und
versuchte es doch. Zuerst stapfte es neben der Mutter einher, ohne ich hinzusetzen. Es ging
zu Tal, langsam und behutsam, und am Ende des Schneefelds sprang es genau so sicher
ab wie alle andern. Und siehe da, es gliederte sich in das Rodelkarussell ein.
Bloß mit dem kleinen Feigling kam die Geiß nicht zurecht. Endlich gelang es ihr, das
Töchterlein bis an den Rand des Schneefeldes zu locken. Ganz unerwartet schubste es die
Alte mit ihrem Kopf auf den Schnee, sprang hinterher und los ging die Fahrt abwärts. Nach
einigem Schwanken gelang es dem Kitz, eine sitzende Position einzunehmen und die Fahrt
gut zu beenden. Noch zitternd vor Angst und Anstrengung folgte es der Alten, die es wieder
hinauflockte. Und siehe da! Als die Geiß sich auf den Schnee begab, folgte ihr das Junge,
setzte sich und fuhr diesmal genau wie alle anderen zu Tal.
Erst als ein paar Touristen vom Kamm laut riefen „Kommt schnell! Gämsen!“ nahm das
Schauspiel ein Ende, und verärgert kroch ich aus meinem Versteck.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 73, S. 180 – 183)
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