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Ein Stück Finnland in 1000 Meter Höhe

Hochmoore der Poiana Ştampei – Zufluchtsstätte von Eiszeitrelikten

von Erika Schneider

Wir verlassen Prundul Bârgăului und streben der Straße zu, die über den Tihuţa-Pass nach Vatra Dornei führt. Wälder und Bergwiesen wechseln einander ab, gehen ineinander über und begleiten unseren Weg. Die bunten Wiesenbewohner, ein Meer von Kräutern und Gräsern, warten auf den Schnitt, um sich dann zu schlanken, wohl geschichteten Heuhaufen aufzutürmen. Bald sind wir im Gebiet der Dorna-Senke: Ausgedehnte, dunkle Fichtenwälder, klare Bäche mit Erlenbüschen, in den Wiesen verstreut liegende, schmucke Holzhäuser und Gehöfte – ein Landstrich, den man schnell ins Herz schließt.

Wir schweifen von der Straße nach links ab und folgen dem Lauf des Dornişoara-Bachs. Ein dunkler Fichtenwald nimmt uns auf. Morsche Stämme und Geäst versperren den Weg. Gebettet auf weichen Waldboden lassen sie sich von Moosen und Flechten einspinnen. Moder- und Harzgeruch strömt uns entgegen. Über den schaukelnden, teppichartigen Waldboden nähern wir uns einer Wildnis, deren Stille nur vom Knacken der Äste unterbrochen wird, mit denen der Wind sein Spiel treibt.
Ein schmaler, langer Brettersteig zeigt uns den Weg an, den wir einschlagen müssen. Er läuft quer durch das Moor und lässt uns etwas von seinen Geheimnissen erfahren. Aus schwarzen Wasseraugen starrt uns das Moor an, als wollte es uns warnen und auf seine geheimnisvolle Tiefe hinweisen. Sumpfschachtelhalme schießen üppig auf und zieren den Moorrand mit seinem Gewirr von Moospolstern, Wasseraugen und Gehölz. Das Geäst der Schachtelhalme greift ineinander und vereint sich zu einem Dickicht, das an die Wälder der Urzeit erinnern könnte. Und über ihm wiegen sich die Kronen von Birken, Erlen, Zitterpappeln, Weiden, Fichten und Kiefern. Beim weiteren Eindringen in das Moorinnere werden die Moospolster immer dichter, vereinigen sich zu einer Decke, einem Meer von Torfhügelchen und Senken, aus dem die Waldkiefern, als vorherrschendes Gehölz, bis zur Höhe einiger Meter emporragen. Der Mitte zu werden die Kiefern immer niedriger und verkrüppelter. Es ist eine dem Moor angepasste Form der Waldkiefer, die Torfkiefer (Pinus silvestris f. turfosa). Dazwischen leuchten hie und da die weißen Stämme und das Geäst der Birken. Flechten hängen in den Baumkronen und spinnen diese so dicht ein, dass sie ihr Leben zu erwürgen drohen.
Und was bergen die vielen Torfbulten? Ein buntes Mosaik von Torfmoosen, das von weiß bis grün und rot die verschiedensten Farbtöne umfasst. Braune Sporenkapseln zieren die Spitzen der Torfmoose, die wie Sternchen aneinander und ineinander gefügt den dichten, weichen Teppich des Hochmoores bilden. Zu den selteneren Bürgern unter den Torfmoosen gehört auch Wulfs Torfmoos (Sphagnum wulfianum), ein Relikt der Eiszeit. Verwoben und verflochten mit ihnen ist die zarte, kriechende Sumpfmoosbeere (Oxycoccus quadripetalus). Der Sonnentau (Drosera rotundifolia) mit seinen runden Blättchen und den roten Fangarmen zum Fesseln von Insekten, die dann zersetzt und aufgesogen werden, fehlt auch nicht. Das Rot der Preiselbeeren, die oft in dichten Träubchen aus dem Moos hervorleuchten, vermengt sich mit dem Blau der Heidelbeeren. Zur Blütezeit des Rosmarin (Andromeda polifolia) sind die Torfpolster von einem rosa-weißen Hauch überstreut. Die Wollgrasbüschel (Eriophorum vaginatum) sind weißen Flocken gleich, die über das ganze Moor, über die weite schaukelnde und feuchtigkeitsgeladene Decke, verstreut sind.
Wo befinden wir uns eigentlich? Das Landschaftsbild mutet uns so fremdartig an, als seien wir irgendwohin in die Moorgebiete Finnlands versetzt worden. Und dennoch sind wir im Kontinentinnern, im Herzen der Karpaten, an der Südgrenze der Torfmoore, die in ihrer schlichten Schönheit auffallen und erfreuen. Sie bilden einen Landschaftsstrich, der nicht mit einem Kunterbunt von Arten verschiedener Herkunft und Lebensweise auffällt, sondern ein einheitliches Gefüge aufweist, mit relativ wenigen, gut angepassten und spezialisierten Bewohnern. Dabei wäre noch zu unterstreichen, dass viele nördliche (arktische und boreale) Arten nach der Eiszeit in diesen Mooren ihre Zuflucht fanden und in ihnen als Eiszeit- (Glazial-)Relikte bis heute erhalten geblieben sind. Einige dieser Relikte, wie Zwergbirke (Betula humilis und Betula nana), Wulfs Torfmoos (Sphagnum wulfianum) u. a. erreichen die südlichsten Fundorte ihrer Weltverbreitung (!) in den Karpaten.
Eingeschlossen im Dorna-Becken, in einer weit ausgedehnten Fichtenwaldzone, liegen um Poiana Ştampei, 17 km südwestlich vom Kurort Vatra Dornei, auf breiteren Flussterrassen und im Tale des Dornabaches, als Inseln eigenartiger Vegetation, eine Reihe von Torfmooren, von denen Poiana Ştampei-Căsoi (oder „Tinovul Mare de la Poiana Ştampei“) das größte ist. Das Moor ist Naturschutzgebiet; mit seiner Fläche von etwa 400 ha ist es das größte Torfmoor Rumäniens.
Es liegt in 910 m Höhe auf einer Flussterrasse, in dem vom Zusammenfluss der Dorna und Dornişoara gebildeten Winkel. Da es von Fichtenwald umsäumt ist, fällt es weniger auf. Die Torfschicht beträgt 3 – 4 m. Und wie viel könnte dieser Torfteppich erzählen, aus einer jahrtausende alten Vergangenheit, die bis ans Ende der Eiszeit zurückreicht. Es begann so: Die absterbenden Pflanzen zersetzten sich langsamer, als das Wachstum neuer erfolgte, so dass eine Anhäufung organischer Stoffe entstand. Dann häuften sich Schichten auf Schichten, wie bei einem Bauwerk Stein auf Stein zu liegen kommt. Durch das nach allen Seiten strahlenförmig fortschreitende Wachstum entstand die gewölbte Oberfläche der Hochmoore. So wie an einem riesigen Gebäude die Spuren mehrerer Bauperioden nicht spurlos vorübergehen und Rückschlüsse auf seine Geschichte ermöglichen, sind auch die Torfschichten Zeugen der Geschichte der Pflanzendecke in den Karpaten. Die Pollenkörner von Pflanzen, die in der Umgebung der Moore wuchsen, sammelten sich in den Torfpolstern, wo sie dank den konservierenden Eigenschaften des Torfs erhalten geblieben sind. Jedes Pollenkorn ist ein Stückchen Geschichte und hat seine Bedeutung in der Geschichte der Pflanzendecke, die sich lückenlos bis zur Entstehung der Torfmoore nach der Eiszeit verfolgen lässt.
Wir verlassen das Dornişoara-Gebiet, um unseren Weg nach Vatra Dornei fortzusetzen. Frischer Torfgeruch strömt uns entgegen. Schon erblicken wir links von der Landstraße „braune Berge“, Torfquader, die vor kurzem gestochen und zum Trocknen aufgeschichtet wurden, um nachher an Pflanzenzüchter versandt zu werden oder Räumen Wärme zu spenden.
Lucina im äußersten Norden der Ostkarpaten und Mohoş bei Tuşnad in ihrem südlichen Teil, beide Naturschutzgebiete, sind auch Namen, die bekannt sein dürften, stand doch das Mohoş-Moor schon öfters im Mittelpunkt von Werken bildender Künstler, die seine Geheimnisse zu ergründen suchten. Die großen Moore im Sebeş-Tal (Oaşa, Sălanele), ebenso einige im Westgebirge wären auch eine Reise wert.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 73, S. 259 – 262)

Seite Bildunterschrift
 
260 Der wilde Rosmarin ist kennzeichnend für unsere Torfmoore.
261 Ein Steg führt quer durch das Moor.
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