Unsere Empfehlung: Abstieg nach Bran
von Lia Gross
Obwohl viele Touristen blasiert die Nase rümpfen, wenn vom Butschetsch-Massiv
gesprochen wird, kann man ruhig behaupten: Es ist gar nicht so ohne! Die
„Bucegi“ sind nicht nur die Drahtseilbahnen, die Autowege, das
Ialomiţa-Tal oder das Plateau. Da gibt es noch allerhand Wege
(markierte und unmarkierte), die man erst kennen muss, ehe man das Recht hat, zu
urteilen. Wer sie aber kennt, dem ist der Butschetsch ein lieber alter Bekannter
geworden, den man immer wieder gerne besucht. Dass man auf diesen Pfaden höchst
selten einem Touristen begegnet, macht sie nur noch reizvoller und
liebenswerter.
Zu diesen weniger begangenen Wegen gehören auch die Pfade, die nach Bran
hinunterführen. Was gewissermaßen auch verständlich ist. Erstens sind sie lang,
zweitens stellen sie einen Umweg dar. Ist es nicht einfacher, direkt ins
Prahovatal abzusteigen, wo man zahlreiche und gute Zugverbindungen hat? Und
dennoch – ein Abstieg nach der anderen Seite hin ist eine Variante, die sich
auszahlt, die einem den ach so bekannten (?!) Butschetsch aus einer ganz anderen
Perspektive zeigt. Kurz, ein Weg, den man gewiss nicht so bald vergessen wird.
Vom Omul (2507 m – kleine, nicht allzu einladende Hütte) führen gleich drei Wege
nach Bran: durch das Gaura-Tal (rotes Kreuz), über den Ciubotea (gelbes Dreieck)
und über Ţigăneşti-Clincea (rotes Band). Letzterer ist ein
Kammweg, der schöne und weite Ausblicke gewährt. Man geht am oberen Ende des
Morar-Tals vorbei – der stolze Bucşoi bleibt rechts liegen – und kommt
ans Mălăieşti-Tal, wo man die bekannten Kamine aus nächster
Nähe bewundern kann. Links liegt das große Gaura-Tal, durch das der mit rotem
Kreuz markierte Pfad führt.
Wir steigen weiter. Bis auf den Scara-Gipfel. Bald danach trennt sich das gelbe
Dreieck von unserem Weg, der uns an weiteren Kaminen vorbei und durch einen
derselben auf den Ţigăneşti-Kamm führt. Nun geht’s den Kamm
entlang, zwischen bizarren Felsgebilden hindurch, rechts das
Ţigăneşti-Tal mit dem kleinen See, die Padina Crucii (ein
niedriger Kamm, der das Ţigăneşti- vom
Mălăieşti-Tal trennt) und dann der imposante Bucşoi.
Vor uns eine unscheinbare Erhebung: der immerhin rund 1800 m hohe Schuler. Links
fällt nun das Gelände ab, nach Bran hinunter. Wir können unseren Weg weiterhin
überblicken. Unten sieht man das Braner Land, und drüben zieht sich der
Königstein wie eine aufgestellte Messerklinge hin. An klaren Tagen sieht man
dahinter das Iezer-Păpuşa-Massiv und die Ausläufer des Fogarascher
Gebirges. Dieser Teil des Weges – der Ţigăneşti-Kamm – ist
entschieden der schönste.
Der Weg führt noch lange über offenes Gelände mit schönen Ausblicken, dann durch
dichten Wald und erreicht endlich Poarta, einen Vorort von Bran, wo bald auch
die beiden anderen Wege, die vom Omul kommen, von links her auf unseren Weg
stoßen.
Wir haben einmal vom Omul bis nach Bran volle sieben Stunden gebraucht,
allerdings mit einem Abstecher zum Bucşoi, mit der obligaten Esspause und
mit zahlreichen Unterbrechungen, während denen fotografiert oder auch nur
betrachtet wurde. Außerdem hatten wir es weder eilig, noch wollten wir Rekorde
aufstellen. Wir wollten nur sehen – recht viel!
Ein etwas längerer Pfad führt durch die Strunga – ein aus ältesten Zeiten her
bekannter Passweg. Den sind wir einmal Ende Oktober gegangen. Wir hatten schon
eine Woche Butschetsch hinter uns und wollten nun einen uns unbekannten Weg
einschlagen. Da wir in den oberen Regionen nicht allzu viel Schnee angetroffen
hatten, wagten wir diesen langen, einsamen Weg. Der Morgen versprach einen
strahlenden Herbsttag. Wir zogen von Peştera los, über Padina und hinauf
zur Strunga. Je höher wir kamen, desto mehr Schnee empfing uns. In der Nacht
hatte es hier oben nämlich geschneit. Bald sammelten sich auch drohende Wolken
über uns. Und weiter ging’s, immer höher hinauf, immer tiefer in den Winter
hinein. Oben empfing uns zu allem Überfluss auch noch Nebel. Um eine Zeit setzte
er sich in einer gewissen Höhe fest. Wir konnten eben noch unter ihm durch. Nur
die oberen Felspartien blieben bedeckt.
In der Strunga angekommen, sahen wir vom Königstein recht wenig, aber das Tal –
das Braner Land – bot sich unseren Blicken wie eine Oase des Friedens dar. Grüne
Wiesen, rote Dächer, Herden auf der Weide, glitzernde Wasserläufe – und alles in
hellem Sonnenschein. Welch lieblicher Anblick für uns, die wir inmitten einer
höchst unfreundlichen Natur standen, umgeben von Stein, Eis, Schnee, Kälte, Wind
und Nebel. Wie ein Blick aus tiefstem Winter in den hellen Frühling.
Nun, da das Tal so verlockend zu uns heraufleuchtete, zog es uns mächtig dorthin.
Eiligen Schrittes ging’s also bergab. Ein gutes Stück noch durch Schnee. Dann
war’s auf einmal zu Ende mit dem Winter. Gras und Sonnenschein waren wieder da.
Wald und Talweg waren dann nicht mehr sehr erbaulich. Im Wald war es ziemlich
nass, und das Tal – die Sonne war schon weg – empfing uns äußerst frostig. Über
uns jedoch wölbte sich ein tiefblauer Himmel, und die schneebedeckten Kämme
leuchteten im letzten Sonnenschein, was uns den endlos scheinenden Talweg
irgendwie erträglich machte.
Wir waren damals etwa neun Stunden unterwegs. Es ist wahr, wir sind nicht allzu
schnell gegangen, aber ohne Pause. Dennoch ist mir der Weg nicht seiner Länge
wegen in Erinnerung geblieben, sondern als ein schöner Weg, als der krönende
Abschluss einer an Wanderungen reichen Woche.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 272 – 275)
Seite | Bildunterschrift |
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272 | So sieht man vom Omul den Ţigăneşti-Kamm … |
273 | … und so sieht das aus der Nähe besehen aus: bizarre, von Wind und Wetter geformte Felsgebilde. |
275 | Blick von der Braner Seite des uralten Passwegs auf die Strunga. |