home - Komm mit - 1972 - Noch einmal Butschetsch
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren
drucken

Noch einmal Butschetsch

Unsere Empfehlung: Abstieg nach Bran

von Lia Gross

Obwohl viele Touristen blasiert die Nase rümpfen, wenn vom Butschetsch-Massiv gesprochen wird, kann man ruhig behaupten: Es ist gar nicht so ohne! Die „Bucegi“ sind nicht nur die Drahtseilbahnen, die Autowege, das Ialomiţa-Tal oder das Plateau. Da gibt es noch allerhand Wege (markierte und unmarkierte), die man erst kennen muss, ehe man das Recht hat, zu urteilen. Wer sie aber kennt, dem ist der Butschetsch ein lieber alter Bekannter geworden, den man immer wieder gerne besucht. Dass man auf diesen Pfaden höchst selten einem Touristen begegnet, macht sie nur noch reizvoller und liebenswerter.
Zu diesen weniger begangenen Wegen gehören auch die Pfade, die nach Bran hinunterführen. Was gewissermaßen auch verständlich ist. Erstens sind sie lang, zweitens stellen sie einen Umweg dar. Ist es nicht einfacher, direkt ins Prahovatal abzusteigen, wo man zahlreiche und gute Zugverbindungen hat? Und dennoch – ein Abstieg nach der anderen Seite hin ist eine Variante, die sich auszahlt, die einem den ach so bekannten (?!) Butschetsch aus einer ganz anderen Perspektive zeigt. Kurz, ein Weg, den man gewiss nicht so bald vergessen wird.

Drei Varianten

Vom Omul (2507 m – kleine, nicht allzu einladende Hütte) führen gleich drei Wege nach Bran: durch das Gaura-Tal (rotes Kreuz), über den Ciubotea (gelbes Dreieck) und über Ţigăneşti-Clincea (rotes Band). Letzterer ist ein Kammweg, der schöne und weite Ausblicke gewährt. Man geht am oberen Ende des Morar-Tals vorbei – der stolze Bucşoi bleibt rechts liegen – und kommt ans Mălăieşti-Tal, wo man die bekannten Kamine aus nächster Nähe bewundern kann. Links liegt das große Gaura-Tal, durch das der mit rotem Kreuz markierte Pfad führt.
Wir steigen weiter. Bis auf den Scara-Gipfel. Bald danach trennt sich das gelbe Dreieck von unserem Weg, der uns an weiteren Kaminen vorbei und durch einen derselben auf den Ţigăneşti-Kamm führt. Nun geht’s den Kamm entlang, zwischen bizarren Felsgebilden hindurch, rechts das Ţigăneşti-Tal mit dem kleinen See, die Padina Crucii (ein niedriger Kamm, der das Ţigăneşti- vom Mălăieşti-Tal trennt) und dann der imposante Bucşoi. Vor uns eine unscheinbare Erhebung: der immerhin rund 1800 m hohe Schuler. Links fällt nun das Gelände ab, nach Bran hinunter. Wir können unseren Weg weiterhin überblicken. Unten sieht man das Braner Land, und drüben zieht sich der Königstein wie eine aufgestellte Messerklinge hin. An klaren Tagen sieht man dahinter das Iezer-Păpuşa-Massiv und die Ausläufer des Fogarascher Gebirges. Dieser Teil des Weges – der Ţigăneşti-Kamm – ist entschieden der schönste.
Der Weg führt noch lange über offenes Gelände mit schönen Ausblicken, dann durch dichten Wald und erreicht endlich Poarta, einen Vorort von Bran, wo bald auch die beiden anderen Wege, die vom Omul kommen, von links her auf unseren Weg stoßen.
Wir haben einmal vom Omul bis nach Bran volle sieben Stunden gebraucht, allerdings mit einem Abstecher zum Bucşoi, mit der obligaten Esspause und mit zahlreichen Unterbrechungen, während denen fotografiert oder auch nur betrachtet wurde. Außerdem hatten wir es weder eilig, noch wollten wir Rekorde aufstellen. Wir wollten nur sehen – recht viel!

Im Oktober durch den Winter

Ein etwas längerer Pfad führt durch die Strunga – ein aus ältesten Zeiten her bekannter Passweg. Den sind wir einmal Ende Oktober gegangen. Wir hatten schon eine Woche Butschetsch hinter uns und wollten nun einen uns unbekannten Weg einschlagen. Da wir in den oberen Regionen nicht allzu viel Schnee angetroffen hatten, wagten wir diesen langen, einsamen Weg. Der Morgen versprach einen strahlenden Herbsttag. Wir zogen von Peştera los, über Padina und hinauf zur Strunga. Je höher wir kamen, desto mehr Schnee empfing uns. In der Nacht hatte es hier oben nämlich geschneit. Bald sammelten sich auch drohende Wolken über uns. Und weiter ging’s, immer höher hinauf, immer tiefer in den Winter hinein. Oben empfing uns zu allem Überfluss auch noch Nebel. Um eine Zeit setzte er sich in einer gewissen Höhe fest. Wir konnten eben noch unter ihm durch. Nur die oberen Felspartien blieben bedeckt.
In der Strunga angekommen, sahen wir vom Königstein recht wenig, aber das Tal – das Braner Land – bot sich unseren Blicken wie eine Oase des Friedens dar. Grüne Wiesen, rote Dächer, Herden auf der Weide, glitzernde Wasserläufe – und alles in hellem Sonnenschein. Welch lieblicher Anblick für uns, die wir inmitten einer höchst unfreundlichen Natur standen, umgeben von Stein, Eis, Schnee, Kälte, Wind und Nebel. Wie ein Blick aus tiefstem Winter in den hellen Frühling.
Nun, da das Tal so verlockend zu uns heraufleuchtete, zog es uns mächtig dorthin. Eiligen Schrittes ging’s also bergab. Ein gutes Stück noch durch Schnee. Dann war’s auf einmal zu Ende mit dem Winter. Gras und Sonnenschein waren wieder da.
Wald und Talweg waren dann nicht mehr sehr erbaulich. Im Wald war es ziemlich nass, und das Tal – die Sonne war schon weg – empfing uns äußerst frostig. Über uns jedoch wölbte sich ein tiefblauer Himmel, und die schneebedeckten Kämme leuchteten im letzten Sonnenschein, was uns den endlos scheinenden Talweg irgendwie erträglich machte.
Wir waren damals etwa neun Stunden unterwegs. Es ist wahr, wir sind nicht allzu schnell gegangen, aber ohne Pause. Dennoch ist mir der Weg nicht seiner Länge wegen in Erinnerung geblieben, sondern als ein schöner Weg, als der krönende Abschluss einer an Wanderungen reichen Woche.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 272 – 275)

Seite Bildunterschrift
 
272 So sieht man vom Omul den Ţigăneşti-Kamm …
273 … und so sieht das aus der Nähe besehen aus: bizarre, von Wind und Wetter geformte Felsgebilde.
275 Blick von der Braner Seite des uralten Passwegs auf die Strunga.
nach oben nach oben