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Neue Landschaft am alten Strom

„Fjorde“ im Kasanpass / Am schönsten, wenn der Flieder blüht

von Franz Engelmann

„Eine Gebirgskette, durchbrochen von Riesenhand; die Flanken senkrechte Felswände, sechshundert bis dreitausend Fuß aufragend, und dazwischen der Riesenstrom der alten Welt, der Ist, die Donau…“

So malt der ungarische Romancier Jokay Mor in den ersten Zeilen seines „Goldmenschen“ eine Landschaft, die der Banater stolz zu seiner engeren Heimat zählt. Wenn wir dem Schriftsteller auch einige Über- und Untertreibungen nachsehen müssen – die höchsten Berge der „Klisura“ sind nicht dreitausend, sondern nur zweitausend und etliche Fuß hch, also etwas über siebenhundert Meter –, so vermittelt er uns doch eine treffliche Schilderung dieser in Europa einzigartigen Landschaft, die an herber Erhabenheit vielleicht nur noch von den norwegischen Fjorden übertroffen wird. Keineswegs übertrieben ist jedoch die gefahrvolle Schiffsreise durch die Katarakte von der „Stenka“ über die „Tachtalia“ und den „Greben“ durch die beiden „Kasane“ bis zum Eisernen Tor, die Jokay Mor ein „Salto mortale mit einem Mammut“ nennt. Nicht nur altertümliche Treidelkähne rissen sich an den tückischen Felsen die Bäuche auf, auch manch stolzer Raddampfer ruht auf dem Grunde dieser gefährlichen Flussschifffahrtsstrecke. Nur ihre Namen blieben verewigt, als Bezeichnungen der Felsenriffe in der Lotsenkarte.
Das war. Heute gleiten bordtiefe Schleppzüge und strahlendweiße Ausflüglerschiffe gefahrlos über den See, der sich hinter dem großen Damm, der zwei Völker verbindet, endlos hinzieht; der Kataraktenlotse aber, einst der stolzeste Beruf von Orschowa bis Moldova, wurde abgelöst von dem Schleusenwart, der die Schiffe sicher über das dreißig Meter hohe Gefälle hinauf- oder hinabgleiten lässt. Und in dem gewaltigen Kraftwerk am Ufer drehen sich die größten Kaplanturbinen der Welt.
Es stimmt. Manches der alten heroischen Landschaft ist für immer unter den Wellen des Sees verschwunden. Versunken ist das alte Orschowa, das „Tierna“ der Römer, versunken die „Szecsenyi-Straße“, eine der kühnsten Ingenieurbauten des vorigen Jahrhunderts, versunken die trotzige Sperrfestung der „Tri kule“, und durch die Gänge der legendenumwobenen Veterani-Höhle huschen die Fische. Nur Ada Kaleh, die romantische Türkeninsel, deren Lage man heute nur noch von der Höhe des Alion an einer lichten Nuance in der tiefgrünen Farbe des Wassers erkennen kann, feierte wenigstens teilweise Auferstehung auf einem Eiland unterhalb des Staudamms.
Und dennoch wurde der Landschaft kein Haar gekrümmt. Im Gegenteil! Den steil aufragenden Felswänden im Großen und Kleinen Kasan tat der Stau keinen Abbruch. Was zählt’s schon, wenn von drei- vierhundert Meter Höhe zwanzig- fünfundzwanzig fehlen? Wunderbar hingegen das buchtenreiche Verlanden des Sees: breit ausladend füllt der Strom die große Bucht von Dubova, wie zu lieblicher Rast einladend zwischen dem erdrückenden Erlebnis der beiden „Fjorde“, und geheimnisvoll lockend bricht mitten im „Kleinen Kasan“ der „Seitenfjord“ in die wildromantische Mrakonia-Schlucht auf. In den Fluten des längsten Golfs des neuen Sees, der Cerna-Bucht, aber spiegeln sich die schlanken weißen Wohntürme und die schmucken Villen des neuen Orschowa, und von der Höhe über der Stadt grüßen die „Bienenhäuschen“ des schönstgelegenen Campingplatzes des Banats.
Nein, der Landschaft wurde kein Haar gekrümmt – im Gegenteil! Kommen sie also ruhig in Europas schönste Stromlandschaft, die inzwischen eine der schönsten Seelandschaften des Kontinents geworden ist. Wenn Sie’s eilig haben, kommen Ihnen die zwei Unterwasserflügelschiffe im Hafen von Orschowa gelegen; sie durchfahren die ganze Traumwelt in zwei Stunden. Die alten Raddampfer haben dafür sechs bis acht Stunden gebraucht.
Und kommen Sie im Mai. Dann duftet und leuchtet der „Kasan“ in der überschäumenden Pracht von Millionen Fliederblüten – heute wie vor tausend Jahren.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 204 – 207)

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