von Franz Engelmann
Die Reschitzaer beanspruchen ihn als ihren „Hausberg“, alle Skihasen aus
Temesvar von acht bis achtzehn träumen von ihm, Touristen aus aller Herren
Ländern sind im Begriff, ihn eben jetzt zu „entdecken“: den Semenik, trotz
seinem höheren Konkurrenten, dem Muntele Mic, der Skiberg Nr. 1 des Banats. Denn
tatsächlich: Schon lange bevor der Skilauf zum Sport wurde, waren die „Brettl“
für die Bewohner der deutschböhmischen Dörfer auf der Hochfläche hart unter
seinem Nordhang ein lebensnotwendiges Verkehrsmittel, einzige Verbindung zur
Außenwelt in den schneetiefen Wintern. Reschitzas Arbeitersportler eroberten
dann in den zwanziger Jahren die wellige Gipfelzone zwischen 1200 und 1400 Meter
für sich, es entstanden die ersten Schutzhütten, die inzwischen zu einem
richtiggehenden Ferienstädtchen ausgewachsen sind, und etwas später die erste
Touristendrahtseilbahn Rumäniens, der Sessellift zur Gozna-Spitze, der heute
noch seinen Dienst tut.
Der Semenik ist um etliche hunderttausend Jahre älter als Skibretter, Berghotels
und Sessellift und hat mithin auch einige Aufgaben zu erfüllen, die älter und
weit reichender als der Tourismus sind. Er verleiht einem ganzen Landstrich das
Leben: er ist der Wasserturm des Banats. Aus seinem harten, kristallinen Leib
entspringen zwar keine mächtig sprudelnden Karstquellen, auch trotzte er der
sägenden Kraft des ungestüm fließenden Elements, und kein einziger Fluss konnte
hier tiefe, spektakuläre Schluchten einschneiden wie einige Wegstunden weiter
westlich und südlich im gelbweißen Kalk des Banater Karst. Aber zu Hunderten
sickern die Quellen unter der weichen Grasnarbe, die den Fels überdeckt, hervor,
und nicht etwa erst am Fuß, sondern mitten auf dem Gipfelplateau. Die
bekanntesten davon sind wohl die beiden „Adlerbäder“, klitzekleine und
glitzernde „Meeraugen“, in denen man auch baden kann – wenn man vier Grad
Celsius verträgt – oder die Semenik-Quelle, nur ein paar Minuten unter dem
gleichnamigen, bekannteste, wenn auch nicht höchsten Gipfel des Bergstockes
(1447 Meter, die Gozna ist um zwei Meter höher). Alle zusammen aber speisen
nicht weniger als vier der bedeutendsten Banater Flüsse: nach Norden die
Temesch, nach Westen die Bersau, nach Süden die Nera und nach Osten die Bela
Reka, den bedeutendsten Zufluss der schäumenden Nera.
Es muss gesagt werden, dass wir hier „Wasserturm“ nicht etwa bloß als bildliche
Floskel setzten: Nein, vielmehr hat der Berg gerade als Wasserspeicher seit
jeher eine erstrangige Bedeutung für alles Land ringsum. Über die Temesch,
hundert Kilometer weiter unten die wichtigste Be- und Entwässerungsader der
Banater Ebene, wollen wir hier gar nicht sprechen. Aber die Bersau! Ohne sie
gäbe es fast kein Leben in der ganzen, heute so bevölkerten Nordwestecke des
Banater Berglandes. Ihr verdankt sowohl das alte Bokschan wie auch das „Neue“
(zweihundertjährige) Reschitza seine Existenz. Früher: Ohne Wasser kein
Holzflößen, keine Eisenhämmer. Und heute: Ohne Wasser keine Hochöfen, kein
Stahlwerk, keine Turbinen. Aus den bescheidenen „Klausen“, simplen Fähren zur
Flößerei, deren Andenken heute noch im Namen der schönen „Villa Klaus“ unter dem
Semenik weiterlebt, entstand allmählich ein großes, modernes hydrotechnisches
System, eines der interessantesten des Landes, das heute in vier großen
Stauseen – drei davon an der Bersau, der vierte, jüngste und höchste am
Ursprungsort der Temesch, bei den „drei Wässern“ – rund dreißig Millionen
Kubikmeter Wasser speichert, es durch ein rund fünfzig Kilometer langes System
von Kanälen, Aquädukten, Druckstollen und Pumpwerken zu drei Kraftwerken leitet,
rund hunderttausend Menschen mit Trinkwasser und eines der größten Hütten- und
Maschinenbauwerke des Landes mit Industriewasser versorgt.
Letzterer Aspekt dürfte den Techniker interessieren, alles zusammen aber
sicherlich den Wanderer. Und diesen wollen wir in eine überaus anziehende See-
und Berglandschaft einladen, wo man ausgiebig und doch ohne stark zu ermüden
wandern, baden, rudern oder fischen kann. Und herrlich faulenzen lässt es sich
hier oben: bei der abgeschiedenen Schutzhütte „Crivaia“, im knietiefen Gras,
unter turmhohen Tannen oder auch auf der Terrasse der Seegaststätte. Hier kann
man bei Rostbraten und einem guten Trunk Ruderern beim Training zugucken.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 205 – 207)