home - Komm mit - 1972 - Der Wasserturm des Banats
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Der Wasserturm des Banats

von Franz Engelmann

Die Reschitzaer beanspruchen ihn als ihren „Hausberg“, alle Skihasen aus Temesvar von acht bis achtzehn träumen von ihm, Touristen aus aller Herren Ländern sind im Begriff, ihn eben jetzt zu „entdecken“: den Semenik, trotz seinem höheren Konkurrenten, dem Muntele Mic, der Skiberg Nr. 1 des Banats. Denn tatsächlich: Schon lange bevor der Skilauf zum Sport wurde, waren die „Brettl“ für die Bewohner der deutschböhmischen Dörfer auf der Hochfläche hart unter seinem Nordhang ein lebensnotwendiges Verkehrsmittel, einzige Verbindung zur Außenwelt in den schneetiefen Wintern. Reschitzas Arbeitersportler eroberten dann in den zwanziger Jahren die wellige Gipfelzone zwischen 1200 und 1400 Meter für sich, es entstanden die ersten Schutzhütten, die inzwischen zu einem richtiggehenden Ferienstädtchen ausgewachsen sind, und etwas später die erste Touristendrahtseilbahn Rumäniens, der Sessellift zur Gozna-Spitze, der heute noch seinen Dienst tut.
Der Semenik ist um etliche hunderttausend Jahre älter als Skibretter, Berghotels und Sessellift und hat mithin auch einige Aufgaben zu erfüllen, die älter und weit reichender als der Tourismus sind. Er verleiht einem ganzen Landstrich das Leben: er ist der Wasserturm des Banats. Aus seinem harten, kristallinen Leib entspringen zwar keine mächtig sprudelnden Karstquellen, auch trotzte er der sägenden Kraft des ungestüm fließenden Elements, und kein einziger Fluss konnte hier tiefe, spektakuläre Schluchten einschneiden wie einige Wegstunden weiter westlich und südlich im gelbweißen Kalk des Banater Karst. Aber zu Hunderten sickern die Quellen unter der weichen Grasnarbe, die den Fels überdeckt, hervor, und nicht etwa erst am Fuß, sondern mitten auf dem Gipfelplateau. Die bekanntesten davon sind wohl die beiden „Adlerbäder“, klitzekleine und glitzernde „Meeraugen“, in denen man auch baden kann – wenn man vier Grad Celsius verträgt – oder die Semenik-Quelle, nur ein paar Minuten unter dem gleichnamigen, bekannteste, wenn auch nicht höchsten Gipfel des Bergstockes (1447 Meter, die Gozna ist um zwei Meter höher). Alle zusammen aber speisen nicht weniger als vier der bedeutendsten Banater Flüsse: nach Norden die Temesch, nach Westen die Bersau, nach Süden die Nera und nach Osten die Bela Reka, den bedeutendsten Zufluss der schäumenden Nera.
Es muss gesagt werden, dass wir hier „Wasserturm“ nicht etwa bloß als bildliche Floskel setzten: Nein, vielmehr hat der Berg gerade als Wasserspeicher seit jeher eine erstrangige Bedeutung für alles Land ringsum. Über die Temesch, hundert Kilometer weiter unten die wichtigste Be- und Entwässerungsader der Banater Ebene, wollen wir hier gar nicht sprechen. Aber die Bersau! Ohne sie gäbe es fast kein Leben in der ganzen, heute so bevölkerten Nordwestecke des Banater Berglandes. Ihr verdankt sowohl das alte Bokschan wie auch das „Neue“ (zweihundertjährige) Reschitza seine Existenz. Früher: Ohne Wasser kein Holzflößen, keine Eisenhämmer. Und heute: Ohne Wasser keine Hochöfen, kein Stahlwerk, keine Turbinen. Aus den bescheidenen „Klausen“, simplen Fähren zur Flößerei, deren Andenken heute noch im Namen der schönen „Villa Klaus“ unter dem Semenik weiterlebt, entstand allmählich ein großes, modernes hydrotechnisches System, eines der interessantesten des Landes, das heute in vier großen Stauseen – drei davon an der Bersau, der vierte, jüngste und höchste am Ursprungsort der Temesch, bei den „drei Wässern“ – rund dreißig Millionen Kubikmeter Wasser speichert, es durch ein rund fünfzig Kilometer langes System von Kanälen, Aquädukten, Druckstollen und Pumpwerken zu drei Kraftwerken leitet, rund hunderttausend Menschen mit Trinkwasser und eines der größten Hütten- und Maschinenbauwerke des Landes mit Industriewasser versorgt.
Letzterer Aspekt dürfte den Techniker interessieren, alles zusammen aber sicherlich den Wanderer. Und diesen wollen wir in eine überaus anziehende See- und Berglandschaft einladen, wo man ausgiebig und doch ohne stark zu ermüden wandern, baden, rudern oder fischen kann. Und herrlich faulenzen lässt es sich hier oben: bei der abgeschiedenen Schutzhütte „Crivaia“, im knietiefen Gras, unter turmhohen Tannen oder auch auf der Terrasse der Seegaststätte. Hier kann man bei Rostbraten und einem guten Trunk Ruderern beim Training zugucken.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 205 – 207)

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