home - Komm mit - 1972 - Damals im Vargyasch-Austritt
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Damals im Vargyasch-Austritt

von Friedrich Thomas

Nördlich der Ortschaft Augustin ergießt sich ein träges, durch die Kaolinreste einer Fayencefabrik (Keramik) getrübtes Gewässer in den Alt. Wer würde ahnen, dass dieser Bach, der Vargyasch, in seinem Mittellauf – hier allerdings kein träger Geselle – eine der malerischsten Kalkschluchten unseres Landes durchrauscht? Annähernd hundert dunkle Höhleneingänge gähnen in den Felswänden der Schlucht und laden zu abenteuerlichen Fahrten ins Berginnere ein. Die berühmte Almascher Höhle, die Pferdehöhle, die Höhle Nr. 18 oder die Höhle des Gabor Janos, um nur einige zu nennen, waren und sind begehrte Ausflugsziele für Forscher und Wanderer. Eine weitere Besonderheit dieser abgelegenen, von der Zivilisation bisher noch unberührten Gegend ist der unterirdische Lauf des Vargyasch. Bald nach seinem Eintritt in die Klamm verliert der Bach nach und nach so viel Wasser, das sein Bett in manchen Sommermonaten vollständig austrocknet. Ab und zu gelingt es dem Eingeschlossenen, der Finsternis zu entrinnen, sich wieder im Sonnenschein zu tummeln, doch bald folgen andere Schwundstellen, die den Ausreißer erneut in die Tiefe zwingen. Erst am Ausgang der Schlucht winkt dem unterirdischen Bach die endgültige Freiheit. Doch der Berg gibt seinen Gefangenen nur ungern her. Riesige Felstrümmer – welch merkwürdiges Zusammenspiel – sind in den Quellaustritt gestürzt und bilden die letzte Hürde.
„…Hier quillt das Wasser in entsprechender Mächtigkeit aus einem Gewirre von regellos übereinandergestürzten Blöcken, welche die weitere Verfolgung dieses Ausflusses in den Berg hinein gegenwärtig ganz unmöglich machen… das freilich nicht so einfache Entfernen sperrender Felsmassen dürfte hier den Eingang zu vielleicht wundervollen, ungeheuer ausgedehnten jungfräulichen Wasser- und Stalaktitenhöhlen eröffnen…“
Immer wieder lesen wir die im Jahrbuch des SKV, 1886, von Dr. Friedrich Kraus veröffentlichte Arbeit: „Zur Untersuchung der Homorod-Almascher-Höhlen“. Wie sollten solche Annahmen (selbst wenn sie etwas übertrieben sind) einen Höhlenforscher nicht reizen? Doch welches ist der Einstieg? Welche der Spalten führt weiter? Bis wohin gelangten die Höhlenforscher während der großen Dürre 1943? Seit Jahren schon versuchen auch wir den Austritt zu bezwingen. Doch bisher endeten alle unsere Versuche im „Wasser“.
Im Sommer 1959, nach einer längeren Trockenheit, scheint endlich der geeignete Zeitpunkt zum Angriff gekommen. Wieder einmal stehen wir vor der Trümmerhalde, unter der das milchig trübe Wasser hervorgurgelt. Um uns an die Kälte in der Tiefe zu gewöhnen, lassen wir dem Unternehmen ein ausgiebiges Bad im Quellwasser vorangehen. Nachdem unsere Nachhut die letzten Anweisungen empfangen hat, nehmen wir von der Oberwelt Abschied. Zu dritt – Walter Gutt, Walter Player und ich – zwangen wir uns durch den schon vorher ausgekundschafteten Spalt. Zwischen schmierig nassen Wänden geht es abwärts, entgegen dem eisigen Wind, der unsere nassen Körper zusammenzucken lässt. Kaum Platz für zwei bietet das enge Felsgemach, in dem wir auf einer Sandbank landen. Von rechts strömt ein tiefes Gewässer, das bergeinwärts nicht verfolgt werden kann, in den Raum. Um für den Dritten Platz zu schaffen, gleitet Gutt ins Wasser. Zögernd und mit zusammengebissenen Zähnen folgen wir unserem Freund.
In denselben Raum mündet aus einem Tunnel ein noch unbekannter Nebenfluss. Mit klopfendem Herzen und stockendem Atem, uns vorwärts schiebend schwimmend oder Wasser tretend, dringen wir in den überfluteten Stollen ein. Das Wasser reicht uns meist über die Schultern. Zwischen Wasserspiegel und Höhlendecke bleibt gerade noch Platz für unsere Köpfe und die brennenden Lampen. Während meine Begleiter in weiser Voraussicht Tennisschuhe angezogen haben, um die Füße gegen untergetauchte Felskanten zu schützen, muss ich mit Wollsocken vorlieb nehmen. Doch bereits beim ersten Einsinken im knietiefen Schlamm werden mir die Schutzhüllen von den Füßen gestreift und bleiben unauffindbar. So muss ich die Bewegungen verlangsamen, um die Bekanntschaft meiner Zehen mit den Blöcken weniger schmerzhaft zu gestalten. Überhaupt ist der Schlamm unser ärgster Widersacher. Überall ist er mit Faulgas durchsetzt. Bei jeder Berührung unserer Füße mit dem Grund wirbeln unzählige Blasen in die Höhe. Manchmal gibt es regelrechte Eruptionen, so dass uns das Wasser um die Köpfe brodelt und der Gestank den Atem verschlägt. Zu unserer Pein gesellt sich die Sorge, mit unseren brennenden Lampen in die Luft zu fliegen.
Endlich erweitert sich der Raum. Voller Freude, uns durch trockene Pullover gegen die Kälte zu schützen, schleppen wir uns auf eine Sandbank. Erwartungsvoll sehen wir uns um. Groß ist die Enttäuschung. Überall tauchen die Felswände unter den Wasserspiegel. Nach kurzer Beratung bindet sich Gutt das Sicherungsseil um die Brust. Ein Blick auf uns, ein kurzer Händedruck, dann holt er tief Atem, und Augenblicke später zeigt uns nur noch das langsam auslaufende Seil an, wo unser Freund verschwunden ist. Um die Zeit nachzuprüfen, halten auch wir den Atem an. Doch noch bevor uns die Luft ausgeht, lockert sich das Seil. Hastig ziehen wir es ein. Prustend und lehmbeschmutzt taucht Gutt aus dem Wasser.
„Es geht weiter! In der Decke gibt es Luftkammern! Man kann atmen. Das Wasser ist sehr tief. Ich brauche Licht!“
Wir reichen ihm eine Karbidlampe. Die Streichhölzer kommen unter die Badehaube. Kurze Zeit später gleitet das Seil abermals durch unsere Hände, und wieder erwarten uns jene Augenblicke zwischen Hoffnung und Angst.
Bestimmt sind schon zwei Minuten vergangen. Schon längst haben wir wieder Luft geholt, und noch immer kommt kein Zeichen von drüben. Hastig zerren wir das Seil aus dem Wasser – wir ziehen ins Leere. Trotz der Kälte wird uns plötzlich heiß.
Da wallt das Wasser auf. Für einen Augenblick taucht ein lehmbeschmierter Kopf aus den Fluten. Schon sackt er zurück in die Tiefe. Eilig packen wir zu und zerren den Bewusstlosen auf die Sandbank. Player wäscht ihm den Schlamm aus dem Gesicht und stutzt: Blut rieselt aus dem Haar. Unser Freund muss mit dem Kopf gegen eine Felskante gestoßen sein. Noch ehe wir mit künstlicher Atmung beginnen, schlägt der Verunglückte die Augen auf. Welche Freude! Jetzt erst erkennen wir, in welcher Gefahr er geschwebt hat. Von weiteren Tauchversuchen sehen wir ab. Schon nach kurzer Zeit ist Gutt soweit hergestellt, dass wir an den Rückweg denken können.
Grelle Lichtflut strömt uns durch den Spalt entgegen. Wir hasten hinaus in den heißen Sommertag. Erschöpft werfen wir uns auf der Wiese ins Gras, und weder die zurückgelassenen Freunde noch die frechen Mücken können uns stören.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 122 – 124)

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