von Friedrich Thomas
Nördlich der Ortschaft Augustin ergießt sich ein träges, durch die Kaolinreste
einer Fayencefabrik (Keramik) getrübtes Gewässer in den Alt. Wer würde ahnen,
dass dieser Bach, der Vargyasch, in seinem Mittellauf – hier allerdings kein
träger Geselle – eine der malerischsten Kalkschluchten unseres Landes
durchrauscht? Annähernd hundert dunkle Höhleneingänge gähnen in den Felswänden
der Schlucht und laden zu abenteuerlichen Fahrten ins Berginnere ein. Die
berühmte Almascher Höhle, die Pferdehöhle, die Höhle Nr. 18 oder die Höhle des
Gabor Janos, um nur einige zu nennen, waren und sind begehrte Ausflugsziele für
Forscher und Wanderer. Eine weitere Besonderheit dieser abgelegenen, von der
Zivilisation bisher noch unberührten Gegend ist der unterirdische Lauf des
Vargyasch. Bald nach seinem Eintritt in die Klamm verliert der Bach nach und
nach so viel Wasser, das sein Bett in manchen Sommermonaten vollständig
austrocknet. Ab und zu gelingt es dem Eingeschlossenen, der Finsternis zu
entrinnen, sich wieder im Sonnenschein zu tummeln, doch bald folgen andere
Schwundstellen, die den Ausreißer erneut in die Tiefe zwingen. Erst am Ausgang
der Schlucht winkt dem unterirdischen Bach die endgültige Freiheit. Doch der
Berg gibt seinen Gefangenen nur ungern her. Riesige Felstrümmer – welch
merkwürdiges Zusammenspiel – sind in den Quellaustritt gestürzt und bilden die
letzte Hürde.
„…Hier quillt das Wasser in entsprechender Mächtigkeit aus einem Gewirre von
regellos übereinandergestürzten Blöcken, welche die weitere Verfolgung dieses
Ausflusses in den Berg hinein gegenwärtig ganz unmöglich machen… das freilich
nicht so einfache Entfernen sperrender Felsmassen dürfte hier den Eingang zu
vielleicht wundervollen, ungeheuer ausgedehnten jungfräulichen Wasser- und
Stalaktitenhöhlen eröffnen…“
Immer wieder lesen wir die im Jahrbuch des SKV, 1886, von Dr. Friedrich Kraus
veröffentlichte Arbeit: „Zur Untersuchung der Homorod-Almascher-Höhlen“. Wie
sollten solche Annahmen (selbst wenn sie etwas übertrieben sind) einen
Höhlenforscher nicht reizen? Doch welches ist der Einstieg? Welche der Spalten
führt weiter? Bis wohin gelangten die Höhlenforscher während der großen Dürre
1943? Seit Jahren schon versuchen auch wir den Austritt zu bezwingen. Doch
bisher endeten alle unsere Versuche im „Wasser“.
Im Sommer 1959, nach einer längeren Trockenheit, scheint endlich der geeignete
Zeitpunkt zum Angriff gekommen. Wieder einmal stehen wir vor der Trümmerhalde,
unter der das milchig trübe Wasser hervorgurgelt. Um uns an die Kälte in der
Tiefe zu gewöhnen, lassen wir dem Unternehmen ein ausgiebiges Bad im Quellwasser
vorangehen. Nachdem unsere Nachhut die letzten Anweisungen empfangen hat, nehmen
wir von der Oberwelt Abschied. Zu dritt – Walter Gutt, Walter Player und ich –
zwangen wir uns durch den schon vorher ausgekundschafteten Spalt. Zwischen
schmierig nassen Wänden geht es abwärts, entgegen dem eisigen Wind, der unsere
nassen Körper zusammenzucken lässt. Kaum Platz für zwei bietet das enge
Felsgemach, in dem wir auf einer Sandbank landen. Von rechts strömt ein tiefes
Gewässer, das bergeinwärts nicht verfolgt werden kann, in den Raum. Um für den
Dritten Platz zu schaffen, gleitet Gutt ins Wasser. Zögernd und mit
zusammengebissenen Zähnen folgen wir unserem Freund.
In denselben Raum mündet aus einem Tunnel ein noch unbekannter Nebenfluss. Mit
klopfendem Herzen und stockendem Atem, uns vorwärts schiebend schwimmend oder
Wasser tretend, dringen wir in den überfluteten Stollen ein. Das Wasser reicht
uns meist über die Schultern. Zwischen Wasserspiegel und Höhlendecke bleibt
gerade noch Platz für unsere Köpfe und die brennenden Lampen. Während meine
Begleiter in weiser Voraussicht Tennisschuhe angezogen haben, um die Füße gegen
untergetauchte Felskanten zu schützen, muss ich mit Wollsocken vorlieb nehmen.
Doch bereits beim ersten Einsinken im knietiefen Schlamm werden mir die
Schutzhüllen von den Füßen gestreift und bleiben unauffindbar. So muss ich die
Bewegungen verlangsamen, um die Bekanntschaft meiner Zehen mit den Blöcken
weniger schmerzhaft zu gestalten. Überhaupt ist der Schlamm unser ärgster
Widersacher. Überall ist er mit Faulgas durchsetzt. Bei jeder Berührung unserer
Füße mit dem Grund wirbeln unzählige Blasen in die Höhe. Manchmal gibt es
regelrechte Eruptionen, so dass uns das Wasser um die Köpfe brodelt und der
Gestank den Atem verschlägt. Zu unserer Pein gesellt sich die Sorge, mit unseren
brennenden Lampen in die Luft zu fliegen.
Endlich erweitert sich der Raum. Voller Freude, uns durch trockene Pullover
gegen die Kälte zu schützen, schleppen wir uns auf eine Sandbank. Erwartungsvoll
sehen wir uns um. Groß ist die Enttäuschung. Überall tauchen die Felswände unter
den Wasserspiegel. Nach kurzer Beratung bindet sich Gutt das Sicherungsseil um
die Brust. Ein Blick auf uns, ein kurzer Händedruck, dann holt er tief Atem, und
Augenblicke später zeigt uns nur noch das langsam auslaufende Seil an, wo unser
Freund verschwunden ist. Um die Zeit nachzuprüfen, halten auch wir den Atem an.
Doch noch bevor uns die Luft ausgeht, lockert sich das Seil. Hastig ziehen wir
es ein. Prustend und lehmbeschmutzt taucht Gutt aus dem Wasser.
„Es geht weiter! In der Decke gibt es Luftkammern! Man kann atmen. Das Wasser
ist sehr tief. Ich brauche Licht!“
Wir reichen ihm eine Karbidlampe. Die Streichhölzer kommen unter die Badehaube.
Kurze Zeit später gleitet das Seil abermals durch unsere Hände, und wieder
erwarten uns jene Augenblicke zwischen Hoffnung und Angst.
Bestimmt sind schon zwei Minuten vergangen. Schon längst haben wir wieder Luft
geholt, und noch immer kommt kein Zeichen von drüben. Hastig zerren wir das Seil
aus dem Wasser – wir ziehen ins Leere. Trotz der Kälte wird uns plötzlich heiß.
Da wallt das Wasser auf. Für einen Augenblick taucht ein lehmbeschmierter Kopf
aus den Fluten. Schon sackt er zurück in die Tiefe. Eilig packen wir zu und
zerren den Bewusstlosen auf die Sandbank. Player wäscht ihm den Schlamm aus dem
Gesicht und stutzt: Blut rieselt aus dem Haar. Unser Freund muss mit dem Kopf
gegen eine Felskante gestoßen sein. Noch ehe wir mit künstlicher Atmung beginnen,
schlägt der Verunglückte die Augen auf. Welche Freude! Jetzt erst erkennen wir,
in welcher Gefahr er geschwebt hat. Von weiteren Tauchversuchen sehen wir ab.
Schon nach kurzer Zeit ist Gutt soweit hergestellt, dass wir an den Rückweg
denken können.
Grelle Lichtflut strömt uns durch den Spalt entgegen. Wir hasten hinaus in den
heißen Sommertag. Erschöpft werfen wir uns auf der Wiese ins Gras, und weder die
zurückgelassenen Freunde noch die frechen Mücken können uns stören.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 122 – 124)
Seite | Bildunterschrift |
---|---|
123 | Ohne Titel. |