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Berge, Birken, Bauernhöfe

Zwischen Butschetsch und Königstein – ein Superlativ der Landschaft:

von Heinrich Lauer

Es ist eigentlich schade. Schade, dass mancher landläufige (und landfahrige) Tourist unter den Karpaten den Butschetsch, unter dem Butschetsch das Prahovatal, unter diesem Sinaia und unter Sinaia das Hotel Alpin versteht. Und die Drahtseilbahn. Schade.
Nichts gegen das Prahovatal, noch weniger gegen den Butschetsch, und auch die Drahtseilbahn möge leben und schweben. Doch über dem Berg, hinter dem Berg, einen guten Fußmarsch von der Promenade der Hochplatte runter, tut sich vor uns, links, rechts, von den Wolken bis zu unseren Füßen, blau, weiß, grün und gelb, rostfarben ein Land auf, dass man seinen Augen nicht traut – das Braner Land.

Es scheint aus der übrigen Welt herausgehoben, und das liegt wohl auch an seiner Einfassung, besonders am Königstein, dessen einrahmende Pracht an das Unwirkliche reicht. Im Frühling weiß man manchmal nicht, ob er es wirklich ist oder ob es Wolken sind. Die Wanderer in diesem Landstrich wissen es, dass dieser Berg anders ist als alle Berge, und dass auch sein Vorland, in weiten Wellen nach Südosten auslaufend, vom Formwillen dieses mächtigen Steins mitgeprägt ist. Kalk ist es, sichtbar am hellen Grat, erkennbar in den ungezählten Zacken des Kamms, der sich wie ein mächtiger Fächer über zwei Dutzend Kilometer erstreckt. Während er diese – seine – Welt nach Westen zu mit aller dem Stein verfügbaren Schroffheit abgrenzt (die berühmte Westwand!), eröffnet er sich auf der Gegenseite, zu uns gewandt, den Wäldern und Almen, zeigt er sich mild, breit, großzügig und zugänglich, hält er dieses Kleinod aus Wiesen, Berghöfen und Streusiedlungen, aus Birkenhainen, Quellen und Bächen im Arm.
Es ist eine Welt der Übergänge: vom Kalk des Königsteins zum Konglomerat des Butschetsch, von der Schroffheit des Felsen zur weichen Linie der Bergwiese, von der kühnen Architektur der Höhe zur Bilderbuch-Lieblichkeit des Tals, der Übergang auch vom dunklen Tann zum Birkensilber, von der Helle und Höhe des gewölbten Tages zum Schatten der Klamm, zur Düsternis der Kluft, zum Dunkel der Grotte.
Die Straße, die hier verläuft, bietet Ausblicke, wie sie sonst nur Wanderpfade eröffnen. Da sie sich meist auf dem Bergbuckel hält, hat sie nach allen Seiten hin dauernd gute Sicht. Hier wird man nicht in einer engen Falte geführt wie im Prahovatal; Täler und Falten bleiben unter uns, Kessel und Senken – alles, was sich an Form und Farbe hier ergeht, ist meist um uns, kommt mit, dreht sich, wendet sich – an jeder Wegbiegung tut sich eine neue Welt auf, oder die gleiche, nicht mehr gleiche erscheint in neuer Schau, mit verlängerter Perspektive, siebenbürgisches Flachland taucht hinter Kuppen auf, mal ein unverhofftes Detail im Vordergrund, ein hübsches Anwesen, Holz und Stein, ein Kirchlein, ein rotes Dach, mal als Fleck im grünen Teppich, mal als Klecks zwischen den Wolken, eine Gruppe malerischer Heuschober, warmes Braun, blühende Bäume, eine Wiese und immer wieder Birken, Birkenhaine, ein Bach, eine Brücke. Eine der Ortschaften zwischen Bran und Rucăr trägt sogar den Namen einer Brücke: Podul Dâmboviţei. Welche Zusammenhänge in diesem Namen! Mit einem Schritt sind wir noch im Siebenbürgischen, die Türme und Scharten der Törzburg sind fast noch zu sehen, und da klingt schon ein urmuntenischer Ton an: Dâmboviţa. Constantin Brâncoveanu ließ hier eine Brücke bauen. Nicht zu erkennen, nicht wieder zu erkennen für den Bukarester ist sein Fluss hier oben an der Quelle, de unten im Flachland Lehm aufnimmt und Wasser verliert und nicht die Idee aufkommen lässt, einer klaren Quelle, dazu unweit des Königsteins, entsprungen zu sein.
Wie jede Straße, die über das Gebirge führt, ist der Bran-Pass ein Element der Übergänge, die sich auf mehreren Ebenen vollziehen. Wie der Berg und mit ihm die Natur, der Wald, die Wiese sich ändern, der Wasserlauf zu neuen Richtungen strebt, so sucht auch der Lauf des menschlichen Lebens eigene Richtungen, sichtbar schon in der Bauwiese der Häuser, in der Kleidung, in Redewendungen, nimmt Eigenarten an, von denen es heißt, dass sie ortsspezifisch, ja bodenständig sind; Arten, Spielarten des Daseins, denen kein ausdrücklich festgelegter, umfassend durchdachter Plan zugrunde liegt; aus dem Umkreis der Landschaft, die anderen Stein und Baugrund, andere Almen, anderes Holz bietet, ein reißenderes oder spärlicher fließendes Wasser hat, andere Winde und Wärme, beziehen sie ihre gestalterischen Motive, die Grundstruktur.
In Bran und Moeciu, in Fundata und Sohodol leben Rumänen. Ebenso in Rucăr und Dragoslavele jenseits der Wasserscheide. Aber es sind andere Rumänen, obgleich eng verbunden durch einen über Jahrhunderte reichenden Austausch der Güter und der Erfahrung, der Legende. Der Weg von Rucăr nach Bran, vom mittelalterlichen Kronstadt zu den alten Hauptstädten der Walachei, Câmpulung, Târgovişte und Curtea de Argeş, und zu den Donauhäfen war vor Jahrhunderten einer der wichtigsten Übergänge der südlichen Karpaten. Durch das aufstrebende Piteşti von heute und dessen Beziehungen zu der siebenbürgischen Industrie ist der Verkehr auf dieser durchgängig modernisierten Straße in den letzten Jahren lebhafter geworden (Piteşti – Braşov 120 km).
Dass sich eine Fahrt in diese Gegend lohnt, ist das mindeste, was sich da sagen lässt. Man sollte aber nicht fahren, sondern verweilen. Denn selbst in sieben Urlauben kann man den Reichtum, die Vielfalt der touristischen Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Schon der Butschetsch, der sich von der weniger begangenen Westseite her als großes Wandergebiet zeigt, reicht für ein Dutzend Tage hin. Dann das fast unberührte Leaota-Gebirge südlich des Butschetsch, das wirklich unberührte Iezer-Păpuşa-Massiv im Südwesten, die Dâmbovicioara-Klamm, die Grotten, schließlich der Königstein! Wanderungen durch die Ortschaften des Braner Lands, durch Anwesen und Bauernstuben, eine Entdeckungsreise durch die Wandelgänge und Kemenaten der Tözburg, dann das Burzenland, darunter Rosenau mit seiner Bauernburg; auf der anderen Seite Rucăr und Dragoslavele, die für die Meisterlichkeit des bäuerlichen Kunsthandwerks, besonders für die Stickereien, berühmt sind; schließlich Câmpulung, die erste Hauptstadt des muntenischen Fürstentums, das Musceler Land, dieser duftige Obstgarten mit Äpfeln und Birnen, die zu den besten gehören, die zwischen Quelle und Mündung der Donau wachsen.
Welch besonderer Doppelklang in den Worten und Assoziationen, in den räumlichen, historischen und kulturellen Bindungen, in den Beziehungen, die nicht allein auf den Austausch der Güter, auf Holz und Salz, Obst und Getreide, Seide und Geschmeide gegründet sind: Rucăr – Bran; Braşov – Câmpulung; Dragoslavele – Rosenau. Oder die Namenspaarung im ältesten Dokument rumänischer Sprache: Neacşu de la Câmpulung und Hans Benkner von Kronstadt.
Hier lernt das Auge sehn, jeder Schritt gehen.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 177 – 185)

Seite Bildunterschrift
 
177 Ohne Titel
180 Stein in Stein – die Törzburg.
181 – o Aus einem Bilderbuch.
181 – u Zwischen Regen und Sonnenschein.
183 Spazier- und Wanderwege in die Nähe und Ferne.
184 – o Podul Dâmboviţei: Venedig ist nicht schöner.
184 – u Ein Spaziergang weit, die Dâmbovicioara-Klamm.
185 – l Frauentracht aus Bran.
185 – r Frauentracht aus Rucăr.
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