Woran man nicht vorbeifahren sollte, wenn man durchs Hatzeger Land reist
von Manfred Huber
„Siebenbürgen in Miniatur“ nannte Ion Pop Reteganu die „Ţara Haţegului“. Eingeengt zwischen Retezat-, Poiana Rusca- und Sebeş-Gebirge, vom Râul Mare, Fărcădin und Strei durchfurcht, liegen hier Hochgebirge und Ebene in enger Nachbarschaft. Neben hingedehntem Fruchtland atmen gewaltige Wälder, Wasser strömt, und dazwischen stehen überall kostbare Baudenkmäler. Erinnerungen an viele Jahrhunderte europäischer Geschichte. In der Nähe des Siebenbürgischen Eisernen Tores, bei Tapae, verteidigten sich die Dazier gegen die römischen Truppen der Imperatoren Domitian und Trajan, und ebenfalls in der Nähe Hatzegs bauten die Römer die Hauptstadt ihrer neuen Provinz Dazien: Ulpia Traiana Augusta Sarmizegetusa. Hier errichteten die rumänischen Knesen Cânde und Mănjina im frühen Mittelalter ihre Residenzen und Stiftungen und hier schlug 1442 Iancu von Hunedoara die türkischen Heerscharen des Beglerbegs Seadedin zurück.
Von Hatzeg als Ausgangspunkt sind es nur wenige Kilometer bis zu den touristisch
wenig bekannten mittelalterlichen Stiftungen rumänischer Knesen, die wohl wegen
ihrer Abgeschiedenheit in den bisher erschienenen Reiseführern fehlen.
Strei, ein Dorf mit nur 400 Einwohnern an der Asphaltstraße von Kalan nach
Hatzeg, wird meist kaum eines Blickes gewürdigt. Abgelegen, zwischen vereinzelt
stehenden Holzkreuzen aber erhebt sich hier die sehenswerte robuste Steinkirche
(Ende 13. Jh.). Ohne Bewurf, von einem gotischen Portal durchbrochen, ragt der
Glockenturm in drei Stockwerken empor, spitzt sich kegelförmig zu und scheint
Wesenszüge späterer Baustile anzukündigen. Unterhalb des Turmkegels schlingt
sich ein Zierband aus römischen Ziegeln effektvoll um den Bau. Die Fresken
bedecken große Flächen (Ende 14. Jh.). Ein Stilgemisch, noch romanisch, aber
schon unverkennlich gotisch beeinflusst.
Prislop liegt 13 Kilometer (Landstraße) nordwestlich von Hatzeg. Inmitten eines
bewaldeten Hügellandes soll der Mönch Nicodim das Kloster Prislop um das Jahr
1400 gegründet haben. Nachweisbar jedoch hat Zamfira, die Tochter des
muntenischen Fürsten Moise Vodă, 1564 das Kloster bauen lassen. Erhalten
geblieben ist nur die Kirche, da das Klostergebäude auf Befehl des
habsburgischen Generals Bukow im Jahre 1762 zerstört wurde. Im Vorschiff der
Kirche – eine kleinere Nachbildung der Klosterkirche von Cozia – ist in die
Steinfließen eingelassen der Grabstein Zamfiras (gestorben 1580), in Stein
gehauen das Wappen der Walachei.
Densuş, 16 Kilometer westlich von Hatzeg, ist über Toteşti leicht
zu erreichen. Auf einem der Berge, die das Dorf umgeben, inmitten eines
Pflaumenhains, steht die Dorfkirche – ein bizarres Gebilde mittelalterlicher
Architektur, monumentale Einfachheit hinter römischer Steinverkleidung (aus
Ulpia Traiana Sarmizegetusa „gebrochen“). Vier römische Altarsteine, römische
Inschriften und Säulen, Wandmalereien 1443 von Meister Ştefan und 1789
von Popa Simion Zugravu geschaffen. Überlieferte Holzarchitektur in Stein
gehauen – so wirkt Densuş rätselhaft auf den Besucher. Das Baudenkmal
aber ist weder das Mausoleum des Generals Longinus (2. Jh.) noch ein Feuertempel
(wie zeitweilig angenommen wurde), sondern das Werk einheimischer Bauleute,
möglicherweise eine Stiftung des Knesen Mănjina aus dem 13. Jahrhundert.
Nur vier Kilometer südlich von Densuş gelangt man über Peşteana,
den ehemaligen Sitz der rumänischen Fürsten Andrei, Mihai, Dionisie und
Vladislav, nach Sarmizegetusa, 18 Kilometer südwestlich von Hatzeg, vom Retezat
überragt. Diese Ortschaft ist nicht mit der dakischen Ruinenstätte
„Sarmizegetusa“ bei Grădiştea Muncelului (30 Kilometer von
Orăştie) zu verwechseln. 108 – 110 ließ der Feldherr und
Statthalter Decimus Terentius Scauriamus die „Colonia Ulpia Traiana“, die
römische Hauptstadt der Provinz Dazien, im Auftrag des Kaisers Trajan bauen.
Später erst, unter Kaiser Hadrian, übernahm die Stadt den Namen der alten
dakischen Hauptstadt und hieß nun: „Colonia Ulpia Traiana Agusta Dacica
Sarmizegetusa“. Kurz vor der Räumung Daziens unter Kaiser Aurelian (271) wurde
die Stadt zur Metropolis erklärt, und die ungefähr 20 000 Bewohner erhielten
das römische Bürgerrecht.
Hart an der Asphaltstraße, im Norden der antiken Stadt und außerhalb der
ehemaligen Stadtmauern, erhebt sich ein Amphitheater für 5000 Zuschauer, das
vier Portale hatte. Die Zuschauerreihen lagen vier Meter über der Arena. An der
Längsseite waren die Umkleidekabinen für die Gladiatoren. Hier wurden auch die
in den Spielen verletzten Kämpfer untergebracht.
Im Ruinenfeld ist der einzige römische Palast der Provinz freigelegt worden, der
Palast der Augustalier, aus Stein und Ziegel gebaut und ursprünglich mit Marmor
verziert. Im großen Hof befand sich der Kaiseraltar (Ara Augusti), vor dem die
Riten zu Ehren des Kaisers und seiner Familie zelebriert wurden. Von den
Tempelanlagen verdient der Mithrastempel (1883 ausgegraben) besondere Beachtung.
Durch seine Außenmaße (26 x 12 Meter) soll der Tempel von Sarmizegetusa der
größte seiner Art sein. Der Mithraskult verbreitete sich im 1. Jahrhundert im
Römischen Reich.
Wählt man die Landstraße von Sarmizegetusa nach Clopotiva, über den Râul
de Mori, so ist man wieder ins Mittelalter versetzt. Der Weg führt uns zum Sitz
der Knesen Nicolae Cândea (später Kendeffy) und Ladislau, und über Suseni
zur „Cetatea Colţ“, einer Fluchtburg (Ruine), die aus 720 Meter Höhe die
Zugänge zum Retezat bewacht. Die Burg der Familie Cândea und die
Wehrkirche am gegenüberliegenden Hang wurden im 14. Jahrhundert gebaut.
Nördlich von Sântamărie Orlea stoßen wir auf die Asphaltstraße
nach Petroşeni. Die Stiftskirche von Sântamărie Orlea (Ende
1. Jh.) lässt im westlichen Portal auf Einflüsse aus Mähren schließen und trägt
die Merkmale des Übergangs von der Romanik zur Gotik. Vier Spitzgiebel krönen
den Glockenturm der weiß getünchten Kirche. Aufschlussreich für ihre
Baugeschichte ist die Wandmalerei im Schiff, die stellenweise vier übereinander
liegende Schichten aufweist. Nach Vasile Drăguţ handelt es sich
möglicherweise um die älteste orthodoxe Freskenmalerei Rumäniens (14. Jh.).
Vom Berge Orlea aber hat man einen weit reichenden Rundblick ins Hatzeger Land,
vom Siebenbürgischen Eisernen Tor bis zum Erzgebirge und der Devaer Burg. Schön
in jeder Jahreszeit und voll unverlierbarer Eigenart.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 72, S. 195 – 198)
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197 | Aus antiken Stein gefügt: die Kirche von Densuş |