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So schoss ich meine Bilder

von Josef Fischer

Josef Fischer, der Hermannstädter Fotograf, hat, das kann heute ruhig gesagt werden, mit seinem Werk Epoche gemacht. Generationen haben in seinen Aufnahmen, in den Landschafts- und Trachtenbildern besonders, den Inbegriff der Qualität erkannt: des richtigen Blicks, des guten Geschmacks, des handwerklichen Könnens. Wie viel aufopferungsvolle Arbeit, Geduld und Begeisterung, Liebe zur Sache und Kampf mit den Widerwärtigkeiten der Bergnatur beispielsweise in den Landschaftsbildern steckt, ist nicht zu ermessen. Wir haben den Nestor unserer Heimatfotografen gebeten, den Lesern von „Komm mit“ rückschauend zu schildern, wie seine bekannten Bergbilder zustande gekommen sind. Der Meister hat dafür zwei Wintertouren aus den zwanziger Jahren gewählt und uns mit dem Bericht eine Auswahl entsprechender Aufnahmen zur Verfügung gestellt.

Gerne komme ich der Aufforderung nach, den Lesern unseres sympathischen Heimatbuchs „Komm mit“ darüber zu berichten, wie es bei meinen Ausflügen zuging, die für mich nicht selten regelrechte Fotoexpeditionen waren. Heute ist es fast kein Problem mehr, schnell ins Hochgebirge zu gelangen. Auto, Motorrad und andere technische Hilfsmittel bringen uns den Berg sozusagen vor die Tür. Selbst Skitouren erfordern keinen besonderen Aufwand mehr. Für die Jugend besonders ist es ein leichtes, am Morgen zu einer Tour zu starten und am Abend vor dem Kamin den Kaffee zu schlürfen… Soweit es mir die Feder gestattet, will ich zwei Winterfahrten schildern. Die eine führte in die Fogarascher Berge, zum Negoi, die andere ins Butschetschmassiv, auf den Omu.
Wenn ich daran denke, was für Vorbereitungen seinerzeit erforderlich waren, um eine Wintertour zustande zu bringen, kommt es mir fast selbst nicht zu glauben. Für einen Fotografen waren die Sorgen doppelt groß. Er hängte sich nicht einfach eine Kleinbildkamera um die Schulter. Er musste neben allen anderen 8 Kilo Fotoausrüstung im Rucksack verstauen. Es wird vielleicht interessieren, wie mein eigenes fotografisches „Rüstzeug“ ausgesehen hat. Mein Fotoapparat, eine 10x15-Voigtländer-Bergheil-Kamera (Plattenapparat), wog mitsamt der Ledertasche 3 Kilogramm. Hinzu kamen 6 Blechkassetten mit Glasplatten 1,3 kg. 6 Reservekassetten mit Platten 1,3 kg, ein Dutzend Agfa-Isochrom-Platten 0,7 kg, schließlich das Holzstativ mit Futteral 1,7 kg – alles in allem also rund 8 Kilogramm. Filter, Sonnenblende und eine Batterielampe (zum Einlegen der Platten) durften nicht fehlen.
Im März 1925 beschloss ich mit zwei meiner Bergkameraden (beide sind heute leider nicht mehr am Leben), eine Tour zum Negoi zu machen. Wir waren keine Skimeister. Schneereifen und Steigeisen waren daher beim Einpacken das Wichtigste. Für mich kamen noch die Fotogeräte hinzu.
Am Morgen fuhren wir mit dem Fogarascher Zug von Hermannstadt nach Porumbacu de Jos. Auf dem Bahnhof erwartete uns der Vertrauensmann aus dem Dorf mit einem Wagen. In Porumbacu de Sus gab uns der Hüttenbesorger Gossler den Schlüssel vom Besorgerhaus. Bevor wir weiterfuhren, stärkten wir uns mit einem ausgiebigen Frühstück, denn wir wussten nicht, wann wir die Negoihütte erreichen würden.
Beim Dr.-Carl-Wolff-Stein verabschiedeten wir uns vom Fuhrmann, verteilten die Fotoausrüstung brüderlich auf drei Rucksäcke, und um 11 Uhr begann der Aufstieg. Das Wetter war ideal: Die Sonne schien, es war warm, und die Sicht war ausgezeichnet. Weiter oben mussten wir die Schneereifen anschnallen – hoher, weicher Schnee. Um 15 Uhr erreichten wir den Şerbota-Wasserfall. Tief verschneit und vereist war der Kessel. Von den Holzbrücken war nichts zu sehen. Unter dem Eis und Schnee brummte und brauste das Wasser. Langsam nur kamen wir weiter. Wir spurten abwechselnd. Erst um 17 Uhr kamen wir, ziemlich ausgepumpt, zur Robert-Gutt-Hütte (Negoihütte).
Schöner als je erschien uns der winterliche Negoikessel. Wir machten es uns in der Besorgerhütte gemütlich. Bald brach auch die Nacht herein, und man brauchte uns wahrlich kein Schlummerlied zu singen, damit wir einschlafen.
Tags darauf: keine Wolke am Himmel. Auf den Drachenstein zu steigen, wäre gefährlich gewesen. Wir stiegen daher ins Sărata-Tal ein, und hinauf ging es zum Gemsstein. Der Aufstieg war nicht sonderlich schwer, denn die Steigeisen bewährten sich auf dem gefrorenen Schnee hervorragend. Vom Gemsstein hielten wir im Kessel links. Unter tiefem Schnee lag das Steinmeer bei der Kleopatranadel. Eisrippen glitzerten im Sonnenlicht. Bald war auch der Kessel an der Spieß- und Bergerscharte erreicht (Strunga Ciobanului). Ein Aufstieg am Kleopatrafelsen wäre mehr als gewagt gewesen. Wer hier abrutscht ist verloren.
Ich war in meinem Element. Ich fotografierte den Şerbotakamm, die Kleopatranadel, die Kleine Negoiwand. Ohne die Hilfe meiner Freunde hätte ich nicht viel ausrichten können. Worin diese Hilfe bestand? Bei allen meinen Aufnahmen habe ich das Stativ verwendet. Mit einem so schweren Apparat wir der Bergheil-Kamera (3 Kilo) aus der Hand zu „knipsen“, ist undenkbar. Im Winter war das Fotografieren besonders schwer. Da musste oft das Stativ festgehalten und gesichert werden (damit es nicht in den Abgrund saust). Bei starkem Gegenlicht blendeten mir die Kameraden die Sonne ab. Nicht selten war es nötig, dass man mir Reserveplatten heranbringt – aus dem Rucksack, den wir an sicherer Stelle zurückgelassen hatten.
Hoch über der Kleopatra erreichten wir die Negoi-Südseite. Der Anblick war großartig: Ein Nebelmeer lag über dem Altreich. Nur die Spitzen der Cozia ragten aus den schneeweißen Wolken.
Weiter ging es, gipfelwärts. Bald aber versperrten uns gewaltige Schneewächten den Weg. Zu ihrer Überwindung fehlte uns nicht nur die Ausrüstung, sondern auch die Erfahrung des Winteralpinisten. Recht schweren Herzens verzichteten wir auf den Weiterstieg.
Ein gefährliches Abstiegsabenteuer gab es doch noch. Unter der Mittagssonne war die Eiskruste geschmolzen, der weiche Schnee verklebte sich an den Steigeisen, Klumpen bildeten sich, und an einer schattigen, also wieder vereisten Stelle glitt ich aus und „fuhr“ in die Tiefe. Zum Glück landete ich ziemlich weich in einer Mulde und kam mit Prellungen und Hautabschürfungen davon. Meine Sorge aber war: die Platten. Am Abend überprüfte ich sie unter der Decke der Reihe nach. Es gab Gott sei Dank keine Scherben.
Bei blendender Sonne standen wir am dritten Tag auf dem Şerbota-Kamm, genossen die ungewöhnliche Aussicht. Ich machte natürlich Aufnahmen. In der Hütte wurde dann am Abend Abschied gefeiert. Wir sangen unsere alten Berglieder und schmiedeten Pläne für weitere Fahrten.
Nicht zu sagen, wie schön die Nacht war. Der Negoikessel im Mondlicht – unvergesslich.

Im Jahre 1928, Ende Oktober, begab ich mich mit meinem treuen Freund Roberto auf eine Butschetschtour. Unser Ziel war der Omu. Mit seinen 2507 Metern ist der Omu bekanntlich die höchste Spitze des Butschetsch. Ihn vom Prahovatal aus zu „machen“, ist schon im Sommer kein leichtes Unternehmen. Im Oktober aber, wenn die Tage bereits bedenklich kurz sind und Schnee auf den Hochwegen und Gipfeln liegt, ist ein solcher Ausflug, man muss es zugeben, schon ein bisschen gewagt.
Am Osthang waren die Zinnen und Gipfel schön verschneit, als wir in Buşteni ankamen. Die Caraiman-Wand leuchtete im frühen Sonnenlicht. Wir schlugen den Schielweg (Drumul Funicularului) ein, der uns stellenweise, dort, wo heute Kabel angebracht sind, nicht wenig zu schaffen machte. Um die Mittagszeit rasteten wir beim Schielhaus (Cantonul Jepi). Damals gab es weder die Babele- noch die Piatra-Arsă-Hütte. Wir mussten also ins Jalomitzatal hinunter: zur Peştera-Hütte bei der Jalomitzahöhle.
Am Morgen darauf war ich gezwungen, auf die Sonne zu warten, um fotografieren zu können. Kostbare Marschzeit ging dadurch verloren. Unser nächstes Ziel war das zum Gedenken an die Gefallenen des ersten Weltkrieges errichtete Caraiman-Kreuz. Erst gegen Mittag kamen wir oben an. Der Weg durch den teilweise verharschten, stellenweise auch weichen und recht tiefen Schnee war kein Kinderspiel. Auf dem Caraiman selbst machte ich die letzten Aufnahmen des Tages bei scheidendem Sonnenlicht.
Nun aber hieß es sich sputen. Es galt, die Omu-Hütte zu erreichen, die einzige Unterkunft weit und breit. Wir mussten das obere Hirschental (Valea Cerbului), einen riesigen Kessel, durchsteigen. Wir wateten durch tiefen Schnee. Das viele Fotografieren hatte mich müde gemacht, und ich fühlte, wie meine Kräfte nachließen. Der schwere Rucksack gab mir den Rest. Äußerst langsam kamen wir vorwärts. Bei harschigen Stellen mussten wir Stufen schlagen. Das war zu viel. Mit einem Mal wurde es dunkel im Kessel. Nur die Gipfelscheitel leuchteten noch vag, aber auch nur für kurze Zeit. Dann lag völlige Finsternis auf dem Gebirge. Und Stille, unheimliche Stille. Als wir die Kesselmitte erreicht hatten, riet mir mein wackerer Roberto, an einer sicheren Stelle zurückzubleiben und zu rasten. Mittlerweile wolle er allein zur Hütte hinauf und den Hüttenwirt verständigen.
Ganz allein war ich jetzt. Die letzten Kräfte bot ich auf, um mich zu rühren, mich wach zu halten. Nur nicht einschlafen! Das wäre der sichere Erfrierungstod. Ein Glück, dass es windstill war (… denn wer weiß, ob ich Ihnen sonst heute von meinem Omu-Abenteuer erzählen könnte). Nach einer Stunde schon kam der getreue Stănilă mit einer Laterne. Er nahm mir den Rucksack ab, und Roberto half mir beim Aufstieg. Völlig erschöpft erreichte ich die Hütte. Was mir passiert ist, kann, glaube ich, als Lehre gelten: Nie eine Wintertour nur zu zweit! Geschieht einem der beiden etwas, ist der andere genötigt, den Kameraden allein zu lassen. Es ist schon vorgekommen, dass Bergsteiger wenige hundert Meter vor der Hütte vor Müdigkeit eingeschlafen und erfroren sind.
Meine Schwindelanfälle legten sich erst am darauf folgenden Morgen. Aber das herrliche Wetter draußen (kaum eine Wolke am Himmel), das einzigartige Panorama vom Omu aus, der Raureif an den Messgeräten der Wetterstation, das Glitzern und Glänzen um uns herum nahm mir den Rest von Müdigkeit. Ich fotografierte drauflos.
Glücklich und zufrieden verabschiedeten wir uns von unserem prächtigen Stănilă. Wir stiegen, wiederum nicht ohne Gefahr, in den Malaeschter Kessel hinab. Um 16 Uhr erreichten wir gesund und guter Dinge die Schutzhütte.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 71, S. 201 – 209)

Seite Bildunterschrift
 
201 1930 in den Fogaraschern.
202 Unter Eis und Schnee versteckt: der große Şerbota-Wasserfall.
203 Negoi und Negoikessel, vom Şerbota-Kamm aus gesehen.
205 Im Winter nehmen sich die Nordabstürze des Negoi noch steiler aus.
206 Links: Schwer und gefährlich ist eine Winterbegehung des Negoi immer.
207 Rechts: Blick vom Omu auf die Colţii Obârşiei mit dem „Cerdac“.
209 Eduard Morres: Blick auf das Jalomitzatal.
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