von Fritz Kraus
Mit seinen fast 50 Kilometern ist der Rote-Turm-Pass nicht nur der längste,
sondern auch der schönste Engpass des Alt (Olt) und gleichzeitig eine der
bezauberndsten Landschaften unseres Landes. Auf beiden Seiten des Passes fallen
die Gebirgszüge steil gegeneinander ab und bilden eine tiefe, weithin sichtbare
Kerbe, die der Altfluss mit vielen Zickzackwendungen nach Süden durchströmt. Die
Ausläufer der Gebirgszüge, die ihn von beiden Seiten einschließen, bieten so
viel an landschaftlicher Schönheit, malerischen Felspartien und Denkmälern der
Geschichte, dass jeder Tourist, der ihn besucht, begeistert sein wird.
Von alters her war der Pass die leichteste und meist benutzte Verbindung
zwischen Siebenbürgen und der Donauebene, zwischen Mittel- und Nordeuropa und
dem Balkan. Dadurch erhielt er eine besondere wirtschaftliche und strategische
Bedeutung, deren sich die Herrscher vergangener Jahrhunderte wohl bewusst waren.
So bauten die Römer zum Schutze dieses Verbindungsweges ihre „limes alutanus“
genannte Befestigungslinie, der u. a. die Kastelle Arutella bei Bivolari, Pons
Vetus bei Câineni, Caput Stenarium bei Boiţa und Praetorium bei
Racoviţa angehörten. Zum gleichen Zweck, zu dem noch die Verteidigung
ihrer südlichen Grenzen dazukam, bauten die ungarischen Könige im 13. und 14.
Jahrhundert eine aus Wehrburgen bestehende Verteidigungslinie, deren wichtigste
der Rote Turm war.
Fahren wir von Hermannstadt (Sibiu) ab, verlassen wir bei Veştem die
Landstraße Nr. 1 und wenden uns auf Landstraße Nr. 7 (Europastraße Nr. 15 a)
direkt nach Süden. Nach ein paar Kilometern erreichen wir die erste Ortschaft,
Talmesch (Tălamci). In der Mitte des Ortes zweigt eine neue Asphaltstraße
nach Zoodt (Sadu) ab (8 km), von wo aus wir den Stausee Sadu (Negovanu) und die Hütte
„Gâtul Berbecului“ besuchen können. Die Hütte, 1175 m hoch am Ufer des
Stausees gelegen, bietet Gelegenheit zu einem schönen Ausflug auf die Hohe Rinne
(Păltiniş) oder die Prejbe (Prejba). Erwähnung verdient, dass der
kürzeste Weg zur 1630 m hoch gelegenen Prejbe-Hütte ebenfalls von Talmesch
abzweigt und über die Ortschaft Tălmăcel (4 Marschstunden) geht.
Verfolgen wir die Landstraße Nr. 7 weiter, so kommen wir gleich hinter Talmesch
auf eine Anhöhe, den „Galgenberg“. Im Süden erhebt sich der Fogarascher
Gebirgszug, der sich, vom Roten-Turm-Pass bis über 2000 m ansteigend, in der
Ferne verliert. Wir sehen den Surul mit seinem breiten Rücken, die
pyramidenförmige Scara, den Negoi, mit 2534 m der zweithöchste Gipfel unseres
Landes.
Südwestlich öffnet sich uns der Blick ins Alttal mit dem Roten Turm. Weiter
westlich erhebt sich das Zibinsgebirge.
Wir besichtigen die Ruinen einer der erwähnten Wehrbauten, die Talmescher Burg.
Sie wird 1370 urkundlich bestätigt. Sie war eine der schönsten mittelalterlichen
Burgen Südsiebenbürgens (auch „Landskrone“ genannt). Ihre Existenz war von
kurzer Dauer (83 Jahre), denn schon 1453 wurde sie auf Befehl des Königs
Ladislaus geschleift.
Bei der nahe gelegenen Ortschaft Turnu Roşu liegt der so genannte
Schneckenberg, ein paläontologisches Naturschutzgebiet, das schon manchem
Fossiliensammler Freude bereitet hat. Auf diesem Berg fanden
Naturwissenschaftler Reste versteinerter Weich- und Wirbeltiere, von diesen
insbesondere auch Krokodil- und Haifischzähne. Aufschlussreich über die
frühgeschichtlichen klimatischen Verhältnisse der Gegend ist die Tatsache, dass
manche Haifischarten, deren Fossilien bei Turnu Roşu-Porceşti
entdeckt wurden (Notdamus, Lamua, Carcharodon und Galeacerdo) auch heute noch in
tropischen Meeren anzutreffen sind.
In derselben Ortschaft kann eine 1613 von Matei Basarab gestiftete Kirche
besucht werden.
Doch zurück nach Talmesch und zur Fernverkehrsstraße Nr. 7, der wir nun weiter
nach Süden folgen. Nach 4 km erreichen wir den Passeingang und mit ihm die Burg,
die dem Pass ihren Namen gab; den Roten Turm. Der Legende nach wurde die Burg
mit Türkenblut gefärbt – daher der Name. Aus geschichtlichen Dokumenten geht
hervor, dass die Anlage schon lange vor den türkischen Einfällen entstand. Die
Burg wurde erstmals in einer Urkunde des Jahres 1411 erwähnt, doch kann man aus
der quadratischen Bauform, die von byzantinischen Architekten in der Zeit vom
10. bis 14. Jahrhundert oft verwendet wurde, und aus der Ähnlichkeit mit den aus
dem 13. Jahrhundert stammenden Burgen von Câlnic und
Sângeorz-Trascău schließen, dass auch der Rote Turm schon Ende des
13. Jahrhunderts gebaut wurde.
Einfach, aber sehr massiv, besteht die Anlage aus dem eigentlichen Roten Turm,
einem später dazugebauten Turm (zum ersten Mal 1487 von Matthias Corvinus
erwähnt) und den später hinzugefügten Verwaltungsgebäuden. Nach dem Einbruch der
Türken in Siebenbürgen verlor die Anlage ihre strategische Bedeutung. Sie wurde
als Zollamt verwendet. Das Alttal, hier 352 m über dem Meeresspiegel gelegen,
schlängelt sich zwischen den Fogarascher, den
Căpăţâna- und den Lotru-Bergen südwärts, begleitet
von der Landstraße am rechten und der 1897 erbauten Eisenbahnlinie am linken
Ufer.
Weiter unten erreichen wir nach etwa 1 ½ km den so genannten Kaiserbrunnen, eine
Quelle, die ihren Namen der Zusammenkunft Kaiser Franz Josephs mit Barbu
Ştirbei, dem Herrscher Munteniens, verdankt. Die beiden Staatsoberhäupter
trafen sich hier im Jahre 1852.
Wir wollen die Gegend näher kennen lernen und schlagen unser Standquartier in
der Hütte „Valea Oltului“, 4 km vom Roten Turm entfernt und unmittelbar an der
Landstraße gelegen, auf.
Die Ausflugsmöglichkeiten sind zahlreich. Da wäre zunächst einmal der „Halbe
Turm“ („Turnu spart“), ein weiteres Glied der Befestigungen im Alttal. Die
Anlage, 1 km von der Hütte entfernt, wurde im Jahre 101 zur Abriegelung des
Alttals errichtet, aber schon 1533 durch Überschwemmung zerstört –
merkwürdigerweise die dem Alt abgewandte Seite. Die Form des Turmes ähnelt den
Hermannstädter Verteidigungstürmen.
Nur 4 km weiter erheben sich auf einem Berg die spärlichen Überreste der
Lauterbach-(Lotrioara-)Burg, eine weitere Verteidigungsanlage, die 1407
erstmalig erwähnt, aber schon im selben Jahrhundert von den Türken zerstört
wurde. Ein weiterer Ausflugsweg führt das Lauterbach-(Lotrioara-)Tal entlang
zum Gârcu-Haus und von hier zur Prejbe-Hütte (2 Marschstunden).
Auch der Lauterbach (Lotrioara) an sich und das etwas weiter talwärts gelegene
Fratelui-Tal sind einen Ausflug wert – schon wegen ihrer herrlichen Badestellen.
Petris Jünger kommen hier auf ihre Rechnung: Forellen bevölkern die Bäche.
Sogar eine Kammwanderung im Fogarascher Gebirge kann von dieser Hütte aus
unternommen werden. Die Surul-Hütte im Fogarascher Massiv wird, als erste
Station, über die so genannte Rosenspitze in einem bequemen Tagesmarsch
erreicht. Eine rote Bandmarkierung kennzeichnet den Weg.
So fügt sich der Besuch dieses ersten Teiles des Roten-Turm-Passes harmonisch in
ein größeres touristisches Unternehmen ein.
*
Das schönste Stück des Altdurchbruchs liegt zwischen dem Coziamassiv und dem zur
Căpăţâna-Kette gehörenden Năruţiu,
unweit des von Mircea dem Alten 1380 – 1386 erbauten Klosters. Ein Besuch der
Cozia, deren Gipfel die Höhe von 1677 m erreicht, ist lohnend.
Wenn wir auf der Asphaltstraße anreisen, überqueren wir den Alt beim Kloster
Cozia oder bei Călimăneşti-Căciulata, dem bekannten
Kurort, dessen Mineralwasser 1883 bei der Weltausstellung in Wien preisgekrönt
wurde. (Die Heilkraft dieses Wassers war seinerzeit so berühmt, dass selbst
Napoleon III. sich regelmäßig durch Postkutschen davon bringen ließ.)
Kommen wir mit dem Zug an, steigen wir auf der kleinen Haltestelle Turnu aus. An
den im Tal noch sichtbaren Überresten der einstigen Römerstraße erkennen wir die
quadratischen Umrisse des im Jahre 138 von Titus Flavius Constans hier zum
Schutze des Passausgangs errichteten Römerkastells Arutella. In der Nähe
befindet sich eine Thermalquelle und ein vorspringender Felsen, der so genannte
„Trajanstisch“ (Masa lui Traian), auf dem, der Sage nach, Kaiser Trajan den
Vorbeimarsch seiner Legionen abnahm.
Wir steigen zum Kloster Turnu auf. Seinen Namen erhielt das Kloster, das 1676
erbaut wurde, von einem auf dem südlichen Berghang stehenden ehemaligen
römischen Wachturm, der heute nicht mehr zu sehen ist.
Weitere Anziehungspunkte sind zwei in den Sandstein gehauene Einsiedlerzellen,
die im Jahre 1590 erbaut wurden und lange Zeit bewohnt waren.
Zurück zu unserem Wanderweg. Dieser führt quer durch den Hof des Klosters Turnu.
Nach zwei Stunden Marsch erreichen wir das 1747 von Mönchen des Klosters Cozia
erbaute Stânişoara-Kloster.
Die Gegend, die wir gemütlich durchwandern, beeindruckt durch ihre reiche
Vegetation. Nussbäume geben diesem Gebiet Gepräge und Namen, den „coz“ bedeutet
auf Türkisch Nuss.
Wer den Fußmarsch scheut, kann mit dem Auto bei
Călimăneşti-Jiblea über den Alt und durch die Ortschaft
Păuşa auf einer guten Forststraße bis nahe an das Kloster
Stânişoara gelangen.
Beim Kloster machen wir einen kleinen Abstecher. Wir gehen ein wenig am Bach
hinunter, im Tale rechts noch eine halbe Stunde weiter und stoßen auf einen
schönen Wasserfall.
Neben dem Kloster, von einem in wenigen Minuten erreichbaren Grashügel aus,
haben wir eine herrliche Aussicht auf das Kloster und in die gegenüberliegende
Foarfeca-Wand.
Bergaufwärts erreichen wir nach etwa 3 Marschstunden die neue, 1570 m hoch
gelegene Cozia-Schutzhütte (30 Plätze).
Von hier ist die Spitze, die „Ciuha Neamţului“, in ungefähr 20 Minuten
zu erreichen.
Oben begeistern wir uns an der schönen Aussicht. Blicken wir in die Runde, sehen
wir die Fogarascher Berge im Norden, das Iezer-Păpuşa-Massiv im
Osten, den Năruţiu und das Lotrugebirge im Westen und (bei klarem
Wetter) das blaue Band der Donau im Süden.
Zu sagen ist noch, dass sich die Mannigfaltigkeit der Flora auch in den oberen
Regionen fortsetzt, wo wir seltene Pflanzen, wie das Edelweiß (Leontopodium
alpinum) und die Königsblume (Daphne blagoyana), antreffen. Beide stehen unter
Naturschutz.
Das Edelweiß kommt auf der Cozia ausnahmsweise auf saurem, metamorphem Gestein
an Ost- und Südhängen vor. Die Königsblume kann als ein Tertiärrelikt bezeichnet
werden und kommt anderswo nur noch ganz vereinzelt vor. Doch Achtung, Kletterer!
In dem brüchigen Gneis ist schon manch verwegener „Edelweißjäger“ abgestürzt.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 71, S. 116 – 123)
Seite | Bildunterschrift |
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117 | Karte: Olt-Tal |
118 | Links: Hermannstadt, touristischer Anziehungspunkt und Stadt mit alter touristischer Überlieferung, ist der Ausgangspunkt unserer Reise durchs Alttal. |
119 | Rechts: Der ebenso wuchtige wie malerische Rote Turm, der einem der wichtigsten Karpatenpässe den Namen gegeben hat, ist, nach Jahrhunderten bewegter Geschichte, nur noch eine Sehenswürdigkeit. |
121 |
Eines der ältesten und am schönsten gelegenen Klöster des Landes ist das Kloster
Cozia. Seine Kirche wurde von Mircea dem Alten gestiftet, der hier begraben ist.
Die schöne Kirche wurde 1380 – 1386 gebaut. Brâncoveanu ließ sie erweitern und mit Fresken schmücken. |
122 | Die Cozia-Türme (Colţii Foarfecii). |
123 | Am südlichen Ende des Altdurchbruchs: ein letztes Panorama (der Alt zwischen Bahnhof Turnu und Căciulata). |