von Georg Hromadka
Man könnte so anfangen:
Der Banater Karst, Rumäniens größtes Kalksteingebiet, liegt zwischen Reschitza
und der Donau. Seine Grenzen können wie folgt abgesteckt werden: Reschitza
(Reşiţa) – Saska – Neumoldowa (Moldova Nouă) –
Şviniţa – Mehadia – Bozovici – Steierdorf-Anina – Reschitza. Von
Reschitza „hinunter“ nach Neumoldowa zieht sich ein etwa 70 Kilometer langer
Streifen: reines Kalksteingebiet. Die übrigen Zonen sind von anderen
Gesteinsarten durchsetzt. Den Banater Karst bedecken teils dolinenübersäte
Wiesen, teils Mischwälder, die gleichfalls reich sind an Ponoren (Trichtern).
Die höchsten Erhebungen des Gebiets sind der Leordiş (1160 m) und die
Pleşiva (1144 m) im Pleşiva-Gebirge und die Svinecea (1226 m) in
den Almascher Bergen (Munţii Almăjului). Unzählige Engtäler
durchqueren den Karst. Die bekanntesten sind die Karaschklamm (Cheile
Caraşului), die Gerlischter oder Aninaer Schlucht (Cheile
Gârliştei), das Minischtal (Valea Minişului), die Neraklamm
(Cheile Nerei), die Donauenge oder „Klissura“. Rund 130 Höhlen, darunter die
großen Tropfsteinhöhlen Komarnik, Popovăţ und Bohui, sind bisher
erforscht worden; weitere harren ihrer systematischen Durchforschung. Unweit von
Reschitza, im Gebiet der Piatra Albă, ist vor wenigen Jahren in der
Poiana Popii einer der tiefsten Naturschächte des Landes entdeckt worden.
Aber man könnte auch anders beginnen. So vielleicht:
Der Verfasser dieser Zeilen ist Reschitzaer. Der Gol, ein nördlicher Vorposten
der Kalksteinzone, das Domaner Tal mit der Kalten Quelle, das Stirniker
Seitental mit der inzwischen zerstörten Tropfsteinhöhle, der „Hollerberg“
(Fliederberg) von Sodol mit der Sodoler Höhle zählen zu seinen ersten
Landschaftserlebnissen. Kraschowa (Caraşova), die Karaschklamm („Prolas“
nennen die Reschitzaer das ganze Engtal nach der einzigen Furt, die gestattet,
die 10 Kilometer lange Schlucht zu überqueren), die Höhle von Komarnik, damals
noch ungeschützt, folgten. Die Gerlischter Schlucht, das Minischtal, die Okubee
(Ochiu Beiului) mit ihrem „Meerauge“ und den Beefällen, das Neratal, das Mühltal
von Saska (die Şuşara) und schließlich der Kasanpass in der
Klissura waren spätere Wanderziele, für die ein Wochenende nicht mehr reichte.
Inzwischen lernte er das Land kennen – nicht das ganze, aber doch soviel davon,
dass er sich über die unsägliche Vielfalt der rumänischen Landschaft
Rechenschaft geben konnte. Er lernte ein Stück Europa kennen – nicht allzu viel,
aber doch genug, um zu erkennen: Rumänien gehört zu den landschaftsreichsten
Ländern unseres Kontinents. Zwanzig Jahre und mehr vergingen. Er sah inzwischen
die bedeutendsten Karstgebilde unseres Vaterlands: das Cerna-Tal, die
Thorenburger Schlucht (Cheile Turzii), die Bicaz-Klamm, die Olteţ-Klamm
und die Râmeţi-Klamm, die Wunderwelt um Padiş im
Westgebirge. Und nach einem Vierteljahrhundert (in dem sich die Welt und die
Menschen, unser eigenes Land und seine Menschen, gründlich verändert hatten) sah
er im vorigen Herbst seine Karstheimat wieder. Sah die Prolas. Sah das
Minischtal. Durchschritt, durchkroch, durchkletterte die Gerlischter Schlucht.
Sah der Okubee und dem Blauen Tümpel ins melancholische Auge. Drang ins Neratal
ein, soweit die eisigen Fluten es erlaubten. Sah Kraschowa, Steierdorf, Anina
und Tschiklowa (Ciclova Montană), Ortschaften, bei denen man nicht weiß,
ob sie in die Wald- und Felslandschaft hinein- oder aus ihr herausgewachsen
sind. Fuhr über die schwindelerregenden Viadukte der ältesten Gebirgsbahn
Rumäniens von Orawitza nach Anina. Stieg bei Tschiklowa auf die Roll. Schaute
vom Mühlkogl bei Steierdorf auf das Gipfelgewoge im Süden. Hörte das Brausen
naher Wildbäche und das Rauschen ferner Wasserfälle. Trank aus den Ziehbrunnen
des Stockerbergs in Steierdorf und aus den Quelltöpfen des Minischtals. Sprach
mit den Menschen: Almaschanern, Kraschowänern und Steirern. Redete wie weiland
der heilige Franz mit den Vögeln – und redete mit den Schlangen… Nach so langer
Abwesenheit schien ihm alles bedeutender als zuvor. Mensch, sagte er sich, das
ist ja unerhört. Das übertrifft ja alles. (Er dachte an die andern
Karstformationen, korrigierte sich aber sofort: Abwägende Vergleiche sind
sinnlos – jede Landschaft hat ihr eigenes Gesicht, ihr persönliches Gepräge,
ihren spezifischen Wert.)
Aus der schwer überschaubaren Vielfalt dessen, was im Banater Karst sehens- und
erlebenswert ist, wollen wir nun für die Freunde abwechslungsreicher und, wenn
es sein muss, ein wenig beschwerlicher Touren in „romantischer“, urspezifischer
Felslandschaft das herausarbeiten, was unserer Meinung nach wesentlich ist.
Klammern wir zunächst aus unserm Plan das geologisch weniger einheitlich
gestaltete südliche Gebietsteil einschließlich der Donauenge aus. Die
Klissura, die „großartigste Stromlandschaft, die man in Europa kennt“, ist ein
Kapitel für sich. Man „macht“ sie am besten per Schiff (von Altmoldowa bis Turnu
Severin), wobei man die neuen Schleusen am Eisernen Tor mitbekommt.
Hauptattraktionen dieser Route sind die Babakai-Felsen unterhalb der
Moldowa-Insel, die Ruinen der siebentürmigen Feste Golubac am jugoslawischen und
die Ladislausburg (Coronini-Feste) am rumänischen Ufer, die Tafeln des Tiberius
und des Domitian auf der jugoslawischen Seite, das Felsenpaar der Bivoli
(Büffel), die Trikule (Ruinen dreier Wachtürme aus dem Mittelalter), der Große
Kasan (Cazanele Mari), wo sich die Donau zwischen den Felsen des Ciucaru Mare
(rumänisches Ufer) und des Großen Strbec (jugoslawisches Ufer) hindurchzwängt
(erster Teil der Kasanenge), der Kleine Kasan zwischen dem Ciucaru Mic und dem
Kleinen Strbec, wo die Donau nur 152 Meter breit, aber 53 Meter tief ist
(zweiter Abschnitt des Kasanpasses), und schließlich des „Wasserkraft- und
Schifffahrtssystem Eisernes Tor“, das gemeinsame Werk zweier befreundeter
Nationen. Sobald die Arbeiten am Eisernen Tor beendet sind, ist auch der
Donaupegel um 33 Meter gestiegen, und das Wasser staut sich auf einer Distanz
von 150 Kilometern stromaufwärts. Welch eine Wandlung im Landschaftsbild dieser
titanische Eingriff des Menschen mit sich bringen wird, können wir uns vorstellen.
Berühmte Höhlen in der Donauange sind auf jugoslawischer Seite die Höhle von
Golubatz (Golubac), auf rumänischem Gebiet die
Fliegenhöhle (Gaura cu Muscă), auch als Coronini-Höhle
bekannt; sie diente einst Verteidigungszwecken), die früher gleichfalls
befestigte Höhle Ponikowa („Gura Ponicovei“) mit wohlerhaltenen
Tropfsteinbildungen und die sagenumwobene Veterani-Höhle (die Dazier sollen hier
ein Sanktuar ihres Gottes Zamolxis gehabt haben; nach einer anderen Version soll
sie von Soldaten des Kaisers Trajan gegraben worden sein). Jedenfalls: Skythen,
Thrazier, Römer, Goten, Hunnen, Awaren, Slawen, Tataren und Türken sind durch
die Donauenge gezogen. Die Dazier, später die Rumänen, hatten in den verborgenen
Tälern der Nordseite ihre sicheren Wohnsitze.
Stark zerfurcht ist die Zone nördlich der Donauenge, etwa zwischen
Sviniţa und dem Almascher Tal (Valea oder Ţara Almăjului).
Sie wird vom Svinecea-Gipfel, mit 1226 Meter die höchste Erhebung der Almascher
Berge, beherrscht. Es wimmelt hier förmlich von Felsentälern, die nach allen
Richtungen hin verlaufen – besonders der Donau zu. Sie sind mit allem versehen,
was die Karstlandschaft anziehend macht: Höhlen, Engpässen, Karstquellen,
Flusswinden, Wasserfällen. Besondere Aufmerksamkeit verdient das Berzasca-Tal
(auch Valea Mare, Großes Tal, genannt). Es geht von den Kalkfelsen der Svinecea
aus und strebt in unzähligen Windungen der Donau zu.
Die Schlager des Banater Karsts sind zweifellos die Karaschklamm, die
Gerlischter Schlucht, das Minischtal und die Neraklamm. Dem „Karstkomplex“
zwischen Reschitza im Norden, Bozovici im Südosten, Saska und Şopotu Nou
im Süden, Gerlischte und Orawitza im Westen gehört eine Unzahl von Höhlen und
Grotten an, wie die trockene Komarnikhöhle und die „feuchte“ Bohuigrotte; von
Meeraugen und Seen, wie die Okubee im Beetal, der Teufelssee (Lacu Dracului) im
Tal der Nera und der Bohuisee bei Anina; von Wasserfällen und Kaskaden, wie die
Beefälle im Beuşniţa-Tal, die Tschiklowaer Klosterkaskade; von
Felstürmen, Felskronen, Felswänden, wie die Begtürme im Neratal, die Piatra
Golumb im Pleşiva-Gebirge, die Roll bei Tschiklowa, der Babanu Negru in
der Gerlischter Schlucht.
Schönste Wanderzeit ist für den Banater Karst wohl das Frühjahr (im April – Mai,
wenn der Flieder blüht – und, nur keine Angst, die grauen Vipern sich auf den
grauen Felsen sonnen). Wer aber im Herbst schöne Tage erwischt, Ende September,
Anfang Oktober, wenn sich die Wälder färben, die Felsenberge rot anlaufen vom
Feuer des Perückenbaums (Cotinus coggygria, rumänisch: „scumpia“), die
Pfaffenhütchen rosig aus dem Gebüsch leuchten und die Kornelkirsche ihre reifen
roten Früchte über alle Wege streut, wird sich glücklich schätzen. Für den
Durchmarsch (und das Durchwaten) der Neraklamm ist allerdings der Hoch- und
Spätsommer am geeignetsten: wenn der Wasserstand niedrig genug, die Temperatur
des Wassers aber hoch genug ist. Fotografen haben es in den Engtälern schwer.
Besonders im Herbst: kurz die Tage, tief die Sonne – und die meist
Ost-West-orientierten Schluchten größtenteils im Schatten.
Und nun zwei Fragen: Wie greifen wir an? Von wo aus greifen wir an?
Die großen Engtäler des Banater Karstlands können nur zu Fuß und im Kampf mit
der wild-spröden Kalksteinnatur „erobert“ werden. Sie fordern Schweiß, und der
Tribut ist oft höher als in den großen Granit- und Schiefermassiven der
Südkarpaten. Mit dem Auto kommen wir nur durchs Minischtal (nicht auch durchs
obere Minischtal). Außerdem sind folgende Autokombinationen möglich:
Lassen wir unsere motorisierten Freunde ruhig fahren. Sowieso müssen sie von PS
auf pp umsatteln (was hier nicht etwa „pianissimo“, sondern „per pedes“ heißt)
und sich uns Wandersleuten anschließen, wenn es darum geht, ins Karstinnere
einzudringen, dorthin, wo die seltsamsten Bildwerke der Natur auf uns warten.
Unsere ersten Touren machen wir von Reschitza aus. Erstes Ziel ist die
Karaschklamm (Prolas).
Bevor wir losziehen, besteigen wir in Reschitza den Gol am Eingang des Domaner
Tals. Wir überblicken von hier aus das uralte Roman-Reschitza (am Fuß des Gol um
die alte Kirche herum gruppiert) und einen guten Teil der Industriestadt
Reschitza, die im Juli 1971 ihren zweihundertsten Geburtstag feiert. Von unserem
Standort aus können wir uns gut davon überzeugen, wie mächtig das Werk, das vor
zwei Jahrhunderten mit zwei kleinen Hochöfen, dem „Franziskus“ und dem
„Josephus“, angefangen hat, in den letzten zwei Jahrzehnten gewachsen ist. Und
nicht nur das Werk. Die ganze Stadt.
Nach Kraschowa fahren wir mit dem Frühbus. Schöner ist der Weg zu Fuß: durchs
Domaner Tal bis an den Rand des einstigen Bergwergorts Doman, dann (in
Südrichtung) die auf und ab steigende, bald nach rechts, bald nach links
ausweichende Straße quer durch die dolinenreichste Gegend im ganzen Banater
Karst. Eine größere Anhöhe, der „Pateşan“, wird überwunden. Das Gebiet
ist obstreich: Maikirschen, Äpfel, Nüsse und besonders Pflaumen (blaue und
gelbe) wachsen in Fülle. Grauer und blendendweißer Kalkstein „wächst“ aus den
Wiesen. Es riecht nach Schafen – typisch für die Kraschowaer Zone. Kraschowaer
Zuika (Pflaumenschnaps, hier „răchie“ genannt, zu „deutsch“ Raki) und
Kraschowaer Käse (Brindsa sagen die Reschitzaer) sind alte Begriffe. Die Aninaer
und Orawitzaer Berge zeigen sich. Auch die ersten Felspartien des Karaschtals
werden sichtbar. Bald stehen wir am Rand des Karstkessels, in dem Kraschowa
liegt. Was anders kann man hier sagen als „malerisch“?
Zweieinhalb, drei Stunden haben wir bis hierher gebraucht. In Kraschowa, dem
größten der sieben Kraschowänerdörfer im Süden, Südwesten und Westen von
Reschitza, sehen wir uns ein wenig um. Die Kraschowäner, der Herkunft und
Sprache nach Südslawen, sind ein sympathischer Menschenschlag. Ihre Tracht,
besonders die der Frauen, ist höchst originell. Man muss sie an Feiertagen
gesehen haben.
Bis zum Eingang in die Schlucht (besser gesagt: zu ihrem Ausgang, denn wir gehen
die Karasch flussauf) sind es wenige hundert Meter. An alten Mühlen vorbei führt
der schmale, größtenteils in den Fels gehauene „Reitsteig“ (reiten kann man hier
vielleicht nur auf den kleinen Kraschowänereseln, und auch das dürfte gefährlich
sein…) in die Klamm hinein. Die Klamm: mäandrisch, eng. Erste Höhlen tauchen am
linken Ufer auf. Zu beiden Seiten sind die Wände steil und hoch. Das Wasser:
meist tief. Nach einiger Zeit rücken die Felswände voneinander ab, Wiesen zeigen
sich, die Karasch wird flacher, und am linken, jenseitigen Ufer gähnt die
Fledermaushöhle (600 Meter erforscht). Hier kann man schön baden. Ein Stück
weiter oben, überm rechten Ufer, die hohe Steilwand unterm „Grad“, unter der
Burg, deren Ruinen wir von Zeit zu Zeit zu sehen bekommen. In der Grad-Wand zwei
Höhlen (eine davon sehr hoch im Hang). Eine Stunde „Reitsteig“, und wir haben
die Prolas erreicht: eine breite Flußau mit reicher Vegetation und gutem
Quellwasser. Ein idealer Rastplatz, mit Badegelegenheit und auch zum Zelten gut
geeignet. Hoch hebt in der Nähe (überm linken Ufer) der felsige Veliki Zabel
(625) sein Haupt. Es lohnt sich, hinaufzusteigen und die Aussicht auf die Klamm,
die Burg gegenüber, das Kraschowaer Karstland und (im Osten) das Semenikgebirge
mit seinen Hochwiesen und reichen Wäldern zu genießen. Weiter geht der
„Reitsteig“: wieder hinein in die Klamm. Je enger die Schlucht, umso tiefer und
ruhiger das Wasser. Überhaupt: diese Stille. Aber unser guter „Reitsteig“
verlässt uns. Nach weniger als einem Kilometer hört er ganz auf. Ein Felsriegel
um den andern schiebt sich vor: von rechts, von links. Die Karasch umgeht die
baumbewachsenen „Riegel“. Wir haben jetzt das wildeste Stück Karaschtal vor
uns – und eins der wildesten, schwierigsten Karststücke überhaupt. Keine Spanne
Weg: auf den Felsriegeln nicht und nicht im beklemmend engen Tal, das ganz von
dunklen Fluten ausgefüllt ist (stellenweise über zehn Meter tief!). Sich mit
den „Riegeln" einzulassen, wäre arge Schinderei – und sinnlos. Wir steigen
lieber zum Fluss hinunter, solange das noch möglich ist: dorthin, wo sich am
rechten Ufer eine „falsche“ Höhle zeigt, eine Höhlung, die, nach den Spuren zu
urteilen, so manchem schon als Nachtlager gedient haben dürfte. Wir sind hier
bei den „Töpfen“ („La Cazane“ oder „La Cotloane“): treppenförmig übereinander
gelegenen Strudelkesseln (die untersten, größten sind 5 Meter tief). Im Sommer
fault das Wasser in den „Töpfen“, im Frühjahr aber, zur Zeit der Schneeschmelze,
braust es die Stufen hinunter. Das Wasser kommt aus einer Höhle (Ţolosu),
von deren Erkundung wir als gefährlichem Unternehmen abraten. (Auch die vor
wenigen Jahren erforschte Racoviţă-Höhle ist schwer zugänglich.
Leichter kommt man zur Peştera Porcului.) Wir ziehen es vor, von den
„Töpfen“ (einzigartig im Karst!) in die freundliche Prolas zurückzukehren.
Von der Prolasau führt ein Pfad südwärts, dann ostwärts unterm
Socolovăţ (782) vorbei in die Komarnik.
Wir aber verlassen die Karaschklamm auf dem aussichtsreichen Furtweg, der
nördlich aus der Prolas herausführt, zwischen dem Pasek (592) und dem „Grad“
(Burg) der Landstraße zustrebt, die wir beim Pateşan auch erreichen. Von
hier sind es noch zwei Stunden bis Reschitza.
Die Komarnikhöhle besuchen wir von Reschitza aus. Wir schlagen die Straße ein,
die uns am „Hollerberg“ (Sodol) vorbei zum Kapu Basch (Capu Başului) und
am Waldhaus Padina Seacă vorbei ins Topliţa-Tal führt („alter
Stegweg“, etwa vier Stunden). Die Höhle, eine der schönsten und größten des
Landes, ist geschützt. Sie ist versperrt. Einen Führer finden wir im nahen
Waldhaus Komarnik. (Lesen Sie unsern Beitrag
„Die Höhle von Komarnik“ auf Seite 230.)
Für die weiteren Unternehmen verlegen wir unsern Stützpunkt nach Steierdorf.
Nach Steierdorf-Anina gibt es eine Busverbindung von Reschitza aus. Mit der
Eisenbahn über Berzovia und Orawitza nach Anina zu fahren, ist zwar ein Umweg
(fast sieben Stunden dauert die Fahrt), aber auch ein Erlebnis. Wir berühren
dabei den Endpunkt des ältesten Schienenwegs auf rumänischem Boden, den Bahnhof
Orawitza, und befahren, was wichtiger ist, die älteste und interessanteste
Normalspur-Bergbahn unseres Landes. Die Linie Orawitza – Anina ist über hundert
Jahre alt. Über 10 Viadukte und durch 14 Tunnels führt die Strecke. Die großen
Ereignisse dieses phantastischen Schienenwegs sind das Jitin-Tal, der Bahnhof
Gârlişte (mit Fernsicht) und die Fahrt durch die Aninaer Schlucht
(in Hangmitte).
Nachdem wir in einem schmucken Steierdorfer Häuschen Quartier genommen, uns im
Ort ein wenig umgesehen und vielleicht auch schon die Fühler in die nähere
Umgebung ausgestreckt haben (lesen Sie unsern Beitrag
„Bei den Steirern“ auf Seite 238), machen wir unsern ersten
Tagesausflug: ins Minischtal (Valea Minişului). Wir nehmen einen
Vormittagbus in Richtung Bozovici, lösen aber die Karte nur für Gura Poneasca.
Der Autobus führt uns durch die Mühlgasse aus Steierdorf heraus. Im Steiertal
(Valea Şteier) geht es ziemlich jäh, streckenweise in Schleifen, hinunter
ins felsenreiche Minischtal, das sich an mehreren Stellen zur Klamm verengt. In
Gura Poneasca steigen wir ab und sind froh, wieder zu Fuß zu gehen, die gute
Luft zu atmen und uns nach Herzenslust zu „verschauen“. Wir gehen bis zum
Kilometerstein 37. Hier machen wir kehrt, um uns den attraktivsten Teil des
Minischtals im Flußauf-Marsch anzusehen.
Schon der erste Blick begeistert: Rechts oben, über der Straße, auf dem
burgähnlichen Grad-Berg, lauert die „Sphinx“ des Minischtals. Weil sie uns keine
Fragen aufgibt und ungeschoren lässt, ziehen wir weiter, besichtigen in der
Bigăr-Klamm den Wasserfall am rechten Minischufer. Wir statten dem
berühmten Karstquell „Bigăr“ (Coronini-Quelle) unsern Besuch ab. In einem
Seitental, am Fuß einer riesigen Felswand, bricht der „bigăr“ aus der
Tiefe hervor. Leider haben ihn in den ersten Nachkriegsjahren verantwortungslose
Kalkbrenner mit Schotter verstopft und seines smaragdenen Schmucks beraubt.
Bei Gura Poneasca („Tscharda“, von hier führt eine Straße zum Erholungszentrum
Poneasca) ist das Tal wieder weit. Ein gemauertes Brünndl lädt rechts vom Weg
zum Imbiss ein. Wieder rücken die Felswände einander näher – stellenweise bis
auf ein Dutzend Meter. Zwischen den Kilometermarken 35 und 31 haben wir den
schönsten Teil des Minischtals. Tief in den Fels hinein ist die Straße gebaut.
(Schon in nächster Zeit wird man hier noch mehr Kalkstein wegsprengen müssen,
denn die Straße wird asphaltiert.) Schäumend, über Stufen und Tröge, bahnt sich
das Wasser den Weg. Mehrere Meter tief, dunkelgrün und von Forellen belebt sind
die „Tümpel“, in denen sich weiße Felsen und eine dichte Vegetation spiegeln.
Für kurze Zeit wird die Klamm bei Gura Izvorului von Wiesen unterbrochen. (Von
hier können wir rechts hinauf zum mehr als 800 Meter hohen Zabel steigen, um die
Aussicht nicht nur aufs Semenikgebirge, sondern auch aufs Pleşiva-Massiv
und die Piatra Golumb, das montane Kernstück im Steierdorfer Karst, zu genießen.)
Weiter oben, am rechten Ufer, gleich neben dem Wasser, tun sich Höhlenschlünde
auf: die „Găurile lui Miloi“.
Wieder weitet sich, bei Gura Golumb, das Tal. Wir kommen zur Kirscha-Kolonie
(„Cârşa“), der Endstation einer Waldbahn, und schließlich zum
Waldhaus Iudina. Hier verlassen wir die Landstraße, die im Steiertal weiterführt
(nach Steierdorf). Wir „steigen“ nun „um“ auf den schmalspurigen Schienenweg. Er
führt ins obere Minischtal hinein. Schön ist auch diese Partie. Wir
durchschreiten drei kleine Tunnels. Beim reich quellenden Irma-Brünndl (einem
Karstquell) trinken wir vom guten Wasser. Wir kommen zum „Blauen Timpfl“ (Blauen
Tümpel), einer ansehnlichen Flussvertiefung, und nach dreiviertelstündigem
Schlippertreten („Schlipper“, von engl. sleeper, heißen im Banat die
Eisenbahnschwellen) sind wir auf der Plopa-Wiese. Der Ausgang der Plopa-Höhle
liegt in der Nähe (man findet die Höhle, wenn man hinterm ersten Felsdurchstich
oberhalb der Wiese den Schienenstrang verlässt und durch den Wald ein kurzes
Stück zur Minisch hinuntersteigt). Der Eingang liegt auf der anderen Seite des
Berges. Dort aber heißt die Höhle anders: „Ponor-Höhle“. Es gibt alte Steirer,
die nicht wissen, dass die trockene Ponor-Höhle und die feuchte Plopa-Höhle
zusammenhängen. Ein Durchstieg ist nicht möglich. Die „feuchte“ Plopa-Höhle kann
auf etwa 700 Meter erforscht werden, aber nur mit dem Schlauchboot. Die Höhle
ist reich bebildert – von der Hand der Natur, versteht sich.
Auf dem Weißen Weg verlassen wir das Minischtal, überqueren im Anstieg die
Plopa-Wiese und kommen, uns links haltend, nach Unterisch, einer „Kolonie“
Steierdorfs am gleichnamigen Schacht.
Unser drittes Ziel ist die Gerlischter Schlucht (Cheile Gârliştei).
Wir fahren von Steierdorf mit dem Lokalbus zum Bahnhof Anina. Hier nehmen wir
den Frühzug, der nach Orawitza fährt. Die Karte lösen wir für Bahnhof Gerlischte
(Gârlişte). Eine halbe Stunde dauert die Fahrt, und wir
überschauen noch einmal den oberen Abschnitt des Gerlischter Felsentals, die
Aninaer Schlucht. Bahnhof Gerlischte: Zwei Wege führen zur Schlucht. Der eine
geht jenseits des nahen Tunnels, durch den wir eben mit dem Zug gekommen sind,
über Wiesen und durch ein Stück Wald hinunter zur Aninaer Schlucht. Der andere
führt diesseits des Tunnels erst über Wiesen, dann am Kreuz („La Cruce“) vorbei
und durch Jungwald steil hinab ins Große Tal (Valea Mare), ein südliches
Seitental der Gerlischte. Wir kommen zum Fluss, durchwaten das kohlefarbene
Wasser (einen Steg gibt es nicht) und betreten auf einem Pfad am rechten Ufer
die großartig gebaute Klamm. Wir dringen so tief vor, wie der Weg es erlaubt –
und kehren um. (Lesen Sie dazu unsern Beitrag
„Gefahr in der Schlucht“ auf Seite 246.) Der Weg vom Bahnhof
Gerlischte nach Steierdorf kann, wenn wir nicht auf den Abendzug warten wollen,
über die Predett (Brădet) gehen. Genaue Informationen gibt uns das
Bahnhofspersonal.
Unser letztes und bedeutendstes Unternehmen im Banater Karst führt uns von
Steierdorf über Bozovici nach Şopotu Nou (Buceaua) ins Almascher Tal.
(Das Almaschtal ist uraltes rumänisches Kulturgebiet. Ortschaften wie Bozovici,
Dalboşeţ und Lăpuşnicu Mare sind immer noch als
Brennpunkte einer starken Bauernkulturbewegung bekannt gewesen.) Wir kommen mit
dem Autobus nach Şopot, wo wir übernachten.
Am Tag darauf brechen wir sehr zeitig auf. Wir wollen den größten Teil der etwa
20 Kilometer langen Neraklamm, den Weg von Şopotu Nou bis zum Waldhaus
Damian, an einem einzigen Tag machen. Das ist, wohlgemerkt, nur im Sommer oder
Spätsommer bei niedrigem Wasserstand, erträglicher Temperatur des Wassers und
mit leichtem Gepäck möglich. Weil wir genötigt sein werden, mehrmals durchs
Wasser zu waten, sind Gummistiefel anzuraten (nass werden wir auf jeden Fall:
wir gehen aber besser über den Flussgrund). Wer ein wenig in der Schlucht
verweilen will, braucht zwei, drei Tage. Übernachten kann man im Salasch
(Bauernhütte) des Trifu und im Salasch des Sârbu – am besten im Heu.
Die Klamm beginnt zwei Kilometer unterhalb Şopot mit der
Cârşa Babei (cârşa = hoher Felsen mit Steilhang).
Immer näher rücken die Berge heran, immer stärker nehmen sie die Nera in die
Zange. Mit den Bergen rückt auch der Wald näher. Sooft er kann, dringt er bis
zum Ufer vor – wie wenn es ihm nach dem reinen, kühlen Wasser dürstete… Der Wald
rückt hier weit öfter ins Bild als in der humanisierteren Karaschklamm.
Für einige Zeit öffnet sich das Tal wieder, aber beim Salasch des Purea, vor der
Cârşa cu Ţoale, hört der Karrenweg auf, und der anhebende
Fußpfad verliert sich einige Male in den Wasserfurten, die wir ohne Bedenken
durchwaten. Links bauen sich die Cârşa cu Ţoale, die
Cârşa Lungă und der Cleanţu Priodului auf, rechts
die Cârşa Piatra Arsă und die Cârşa
Spărturilor. Beim Einfluss des Ogaşu cu Raci begegnen wir einem
Karstquell (Izvoru Bigăr). Das imposante Tor des Meliug (Poarta
Meliugului) tut sich auf. Blendendweiß leuchtet uns vom unteren Ende einer
Flußau die Cârşa Meliugului (rechtes Ufer) entgegen. Wir rasten
beim Salasch des Trifu in der Flußau am rechten Ufer. Wir erkundigen uns genau
nach dem leichteren Weg zum Teufelssee (Lacu Dracului). Zwei Varianten sind
möglich: eine „feuchte“ im Tal der Nera, eine andere über die Höhe La Scaune (Zu
den Stühlen), nach einem Rastort benannt. Wir ziehen die zweite vor, gehen aufs
linke Ufer, an der Untan-Mühle (Moara lui Untan) am Ameliug-Bach vorbei zu den
„Scaune“ und steigen dann nach rechts durch einen Fliederwald hinunter zum
Teufelssee, der nichts anderes ist als ein von der Nera gespeister Höhlensee.
Der See im riesigen, halbgeöffneten, düsteren Höhlenschlund wirkt unheimlich.
Er ist 35 Meter lang, 18 Meter breit und 9 Meter tief. Unterhalb vom Teufelssee,
beim Coveiu Lung, macht die Nera eine Wendung von 180 Grad (das wird sie noch
ein paar Mal tun müssen, um den gewaltigen Felsmassen, die sich ihr
entgegenstellen, aus dem Weg zu gehen). Wir kehren zu den „Scaune“ zurück. (Von
hier führt übrigens ein Weg zur Landstraße hinaus nach Ştinapari.) Über
den Ogaşu Porcului gelangen wir (unterm Cracu Zapodinii) wieder in die
Klamm.
Wir befinden uns noch immer auf dem linken Ufer, das wir eigentlich erst gegen
Ende unserer heutigen Tour verlassen werden.
Stellenweise ist der Weg, typisch für die großen Schluchten des Banats, in den
Fels gehauen. Großartige Bilder fangen wir ein: die Felswände des Coveiu Lung
und des Coveiu Scurt. Beim Coveiu Scurt (nochmals eine 180gradige Wendung)
entscheiden wir uns für die kürzere Wegvariante über den Cracu Iordanului am
linken Ufer. Wir rasten beim Izvoru Iordanului, einem starken Karstquell. Ein
Karrenweg führt von hier heraus mit Richtung Sasca Română. Weiter
unten, bei den höhlenreichen Farna-Felsen, zweigt ein Weg nach rechts ab. Über
einen schwanken Steg (der übrigens oft genug weggeschwemmt wird) geht es hinüber
aufs andere Ufer: zum Salasch des Sârbu (Vogiun).
Wir gehen nicht hinüber, sondern verfolgen unsern Weg am linken Ufer weiter. Wir
kommen an der feucht-unfreundlichen Ochsenhöhle (Peştera Boilor) vorbei.
Und jetzt nähern wir uns dem Herzstück der Neraklamm: der Schluchtpartie
zwischen den Cârşele Dese und den Begtürmen. Über 6 Kilometer
„reine“ Schlucht! In riesigen Mäandern schlagen die Fluten bald an die
Cârşele Dese, bald an den Cracu Tulburii, bald an die rötlichen
Barbeş-Felsen, bald an den Cracu Haiducului. Durch Tunnels, über schmale
Felswege, die oft gar keine Wege mehr sind, erreichen wir schließlich den wohl
phantastischsten Abschnitt: unter den Felsen mit dem bezeichnenden Namen „La
Închinăciune“ („Wo man ein Kreuz schlägt…“) auf der linken Seite
und der Pânza Văii Rele am rechten Ufer. Im Abschnitt La
Cârlige müssen wir noch einmal durchs Wasser: hinüber aufs rechte Ufer,
weil uns die Cârşa Şoimului abweist.
Doch schon erreichen wir bei Padina Seacă einen Karrenweg, der uns in
weniger als einer halben Stunde zum Waldhaus Damian und in die Nachbarschaft der
sagenumwobenen Begtürme bringt. (Man sieht noch am Großen Beg die Reste einer
Strickleiter, mit deren Hilfe vor Jahren ein verwegener junger Mann aus Saska
den Schatz des Türkenbeis, des Begs, heben wollte…)
Wir übernachten im Waldhaus. Wenn nötig, schalten wir einen Rasttag ein
(vielleicht auch, um die nah gelegene Dubova-Höhle, die größte Höhle im Neratal,
zu besuchen).
Am folgenden Tag verlassen wir die wunderbare Klamm bei der Beebrücke (Podu
Beiului), biegen, wenige Kilometer unterhalb des Waldhauses Damian, ins Beetal
(Valea Beiului) ein, sorgen dafür, dass wir von der guten Forststraße beizeiten
auf den alten Weg im Beetal (rechts) hinüberwechseln. An schönen Wasserfällen
und alten Mühlen vorbei gelangen wir in zwei Stunden (von Damian aus gerechnet)
zum Waldhaus Valea Beiului. Noch eine halbe Stunde, und wir stehen vor dem
blaugrünen „Meerauge“ Okubee (Ochiu Beiului) einem großen, beckenförmigen
Karstquell. Wir besuchen die drei übereinander gelegenen Wasserfälle im
hochsteigenden Beuşniţa-Tal. Die drei Beefälle sind geschtzt (sie
sind übrigens nicht die einzigen Wasserfälle am Pleşiva-Westhang).
Von der Obstwiese beim Großen Fall sehen wir auf der Ostseite des Beetals die
kolossalen Umrisse des Burgbergs von Socolar. Der Volksmund nennt die zerstörte
Burg „Maria Theresia“.
Ins Beetal zurückgekehrt, wählen wir für die Rückkehr nach Steierdorf eine
Route, die uns in Richtung Nord zum Waldhaus Beiu Sec, von hier weiter über
einen streckenweise schweren, dann aber doch auch wieder erholsam-schönen Weg
nach Crivina (an der oberen Minisch gelegenes Waldhaus) bringt. Wir halten
unentwegt Nordrichtung, kommen ins Ponortal und erreichen nach vier, höchstens
fünf Stunden (von Okubee aus gerechnet) Steierdorf, die liebliche „Hauptstadt
des Banater Karsts“.
Dass wir uns von den Anstrengungen unserer Klammtour rasch wieder erholen, dafür
sorgt die freundliche Hausfrau. Die gute Steierdorfer Luft und die
mild-beruhigende Almlandschaft tragen ihren Teil dazu bei.
Im Berg von Golubac ist eine große Höhle. Nach einer serbischen Sage hat der heilige Georg den Kopf des getöteten Drachen in diese Höhle geworfen. Eine rumänische Legende berichtet von Iovan Iorgovan („braţ de buzdugan“), der bei Herkulesbad den zwölfköpfigen Drachen erschlagen habe. Einer der Köpfe entging dem Helden, schwamm die Cerna hinunter und die Donau hinauf, bis er zur „Gaura cu Muscă“ kam, wo er sich versteckte. Nach beiden Sagen entsteht aus dem Drachenkopf Jahr für Jahr eine Unmasse von Mücken, die sich übers ganze Banat verbreiten. Die so genannte Kolumbatscher Fliege (Simulia kolumbacensis) ist tatsächlich eine Landplage und richtet unterm Vieh beträchtlichen Schaden an. Die Kolumbatscher Fliege wird natürlich nicht, wie die Sage behauptet, in den beiden Höhlen ausgebrütet. Sie entwickelt sich im Wasser der Donau ungefähr zwischen Moldowa und Vârciorova. Man hofft, mit der Hebung des Wasserspiegels oberhalb des Eisernen Tors auch die Mückenplage loszuwerden.
Man sperrt die Tür auf, und wir steigen die steinernen Treppen hinunter.
Feuchter Sand bedeckt den weiten „Vorraum“. Langsam gewöhnen sich die Augen ans
Licht der Karbidlampen. Noch ist der Gang ohne Schmuck. Grobe Blöcke stehen im
Weg. Bald aber tauchen die ersten Stalaktiten, von der Decke herabhängende, und
Stalagmiten, auf dem Boden „wachsende“ Tropfsteine, auf.
Eine mächtige Geröllhalde, fast bis an die Decke reichend, wälzt sich uns
entgegen. Hinauf geht es. Und auf der andern Seite hinunter. Jetzt folgt Bild
auf Bild. Satz auf Satz eines pompösen Concerto grosso aus Fels und Tropfstein,
das unsere Lichter erklingen lassen.
Was sagen schon die verkleinernden Namen: Zitrone, Pilz, Kamel, Gardinen,
Zwillinge, auch: Kleine Orgel, Große Orgel, Predigtstuhl, Burg, Basteien,
Museum? (Platz wäre hier für die ganze Fabelwelt der alten Griechen, des
rumänischen und des deutschen Volkes.)
Nichts wiederholt sich. Über feindseliges Geröll hinweg, an finsteren Abgründen
vorbei, durch beklemmende Schmalgänge hindurch schreiten wir von Ereignis zu
Ereignis. Wir horchen in einen seitlichen Gang: Stille. Im Frühjahr brausen hier
die Ponikva-Fälle. Die drohende Decke, von der Hunderte von Schwertern
herunterdamokeln, scheint nur darum nicht einzustürzen, weil Sintersäulen sie
halten. In Wirklichkeit bietet der Tropfstein nur geringe Stütze. Viele der
Pfeiler sind geborsten, weil der Boden nachgegeben hat. Etliche hängen,
entwurzelt, in der Luft. Über andere hat sich frischer Sinter ergossen.
„Frisch“, das bedeutet hier wohl: im Lauf einiger Jahrhunderte (oder
Jahrtausende) entstanden.
Bei massigen Tropfsteinbildungen, wie der Großen Orgel oder den Kolonnaden,
fällt die verschiedene Färbung auf. Sie dürfte weniger auf das unterschiedliche
Alter als auf die verschiedene chemische Zusammensetzung zurückzuführen sein.
Einige leuchten schneeweiß und glitzern wie Marmor. Andere sind fahlgelb. Manche
sind mit einer erdfarbenen Kruste überzogen.
Eine merkwürdige Erscheinung sind die „Chinesischen Mauern“: seltsam gewundene,
über ein halbes Meter hohe Deiche, hinter denen sich im Frühjahr das Wasser
staut. Hier steht auch die berühmte „Burg“ mit den „Basteien“.
Ungefähr auf halbem Weg ist die höchste Wölbung: 25 Meter hoch. Wie seltsam die
menschliche Stimme hier klingt. Im zweiten Teil der Höhle wechseln riesige
Säulengänge, Vorhänge und Draperien mit schwarzschlündigen Dolinen und wüsten
Ruinenplätzen ab.
Über einen schwierigen Stollen kommen wir in die „Jungferngalerie“. Sie ist in
den dreißiger Jahren entdeckt worden und bildet die Schatzkammer der Höhle von
Komarnik. Was sich hier auf ziemlich engem Raum ereignet, ist buchstäblich
überwältigend. Auf dem wogenden Grund der Höhle quillt, rieselt, strömt und
strudelt es, reckt es sich empor und bäumt es sich auf. Von der Decke herab
stürzt es und greift es herab mit tausend kralligen Fingern. Und über allem der
Zauber der Unberührtheit.
Wir verlassen das „wunderliche Bergwerk“ auf der Naves-Seite und staunen, wie
schnell die drei Stunden vergangen sind, die man zum Besuch der Komarnik-Höhle
braucht.
Noch zwei Sommer, und Steierdorf wird zweihundert Jahre alt. Holzschläger und
Kohlenbrenner siedelten sich hier 1773 als erste an. Die meisten waren aus der
Steiermark gekommen. Als aber 1790 der Kohlenbrenner Matthias Hammer im Wald den
„schwarzen Stein“ fand, schlug die Geburtsstunde des größten Banater
Kohlenbergbaus. Reiche Steinkohlenlager wurden entdeckt. Anina entstand. Zuzug
kam aus Böhmen und anderen altösterreichischen Ländern. Selbst Italiener
siedelten sich an.
Die beiden Ortschaften entwickelten sich parallel: Anina als ausgesprochenes
Bergbauzentrum, Steierdorf vorwiegend als Forst- und Holzarbeitersiedlung. Die
zwei Gemeinden wurden zusammengefasst (Steierdorf-Anina). Heute sind sie zur
Stadt Anina verschmolzen. Der „charakterliche“ Unterschied ist dadurch nicht
aufgehoben. In Anina drückt die Industrie dem Ort ihren Stempel auf. In
Steierdorf spürt man die Nähe der Förderschächte kaum.
Mit einer mittleren Höhe von 600 Metern, mit seiner schönen Lage, seiner guten
Luft, seiner ruhigen Lebensatmosphäre ist Steierdorf zum Luftkurort wie
geschaffen. Es gibt sogar eine Tradition, an die man anknüpfen könnte: die alte,
leider vergessene „Sommerfrische“. Der Ausbau der Wege wird das Interesse für
Steierdorf und Anina bestimmt hochschrauben (mit der Asphaltierung der Strecke
Orawitza – Steierdorf will man 1971 fertig sein; dann kommt die spektakuläre
Straße im Minischtal dran).
Ein wahres Bilderbuch ist Steierdorf-Anina mit seiner Umgebung für den
Erholungssuchenden, der keine weiten Ausflüge, aber doch täglich seinen
gemütlichen Spaziergang machen will. Da ist Steierdorf mit seinen malerischen,
blitzsauberen „Randvierteln“ (in Steierdorf ist man überall am Rand – der Alm
oder des Waldes): Stockerberg, Rahnerberg, Salzmannberg, Hrusaberg,
Schmaranzerberg, Bidograben, Fuchsental, Mühltal, Böhmerkolonie – und wie die
„Berge“, „Täler“, „Gräben“ und „Kolonien“ alle heißen. Da sind in Anina die
„Vororte“ Sigismund, Tschelnik, Schlucht.
Es ist ein Vergnügen, durch die graden, gewundenen, steilen, immer aber auch
schmucken Gassen und Gässlein zu spazieren, zu sehen, wie die Leute die Häuser,
die Höfe, die Gärten und die Obst- und Heuwiesen dahinter in Ordnung halten.
(Hut ab auch vor dem Stadtvolksrat, der das graue Anina von einst hell und
freundlich gemacht hat.) Mit dem Sinn für Ordnung geht der Schönheitssinn Hand
in Hand. Ohne zu protzen, schlicht und natürlich wie die Landschaft ringsum,
verschönen die Menschen das Haus, in dem sie wohnen, und das Fleckchen Erde, auf
dem sie leben.
Im Fuchsental beispielsweise fällt auf, dass die Häuser fast ausnahmslos
kunstreich verzierte Dachrinnen haben. Die schönen Blecharbeiten sind das Werk
des verstorbenen Spenglermeisters Seitz und seines Nachfolgers Meister Wooth.
Freundlichen, angenehmen Menschen begegnet man hier, die dem Fremden
bereitwillig Auskunft geben, ihm sagen, wie er am besten auf den Mühlkogl kommt
oder zum Bohui-See, in die Predett oder zum
Bergmannsgrabmal auf dem Friedhof
von Sigismund, zur Bohui-Grotte und auf die Ammerwiese, zur Sommerfrische oder
auf den Schönberg – Ziele, die mühelos erreicht werden können.
Ein Bergsattel trennt Anina von Steierdorf: die Wasserscheide zwischen dem Gerlischter Tal und dem Steirertal (mit anderen Worten: die Wasserscheide zwischen der Karasch und der Nera). Am Nordhang des Sattels liegt Sigismund, ein „Vorort“ von Anina. In Sigismund liegt der Aninaer Friedhof. Wer Anina besucht, sollte den Friedhof von Sigismund nicht versäumen. Auf dem so genannten kleinen Friedhof über der Straße, die zum Bohui-See führt, steht ein gemauertes Grabmal. 78 Gräber liegen davor. 78 Namen stehen auf der riesigen Grabtafel. Eine Inschrift darüber gibt Auskunft: „Hier ruhen die Opfer der Grubenkatastrophe vom 7. Juni 1920.“ 78 Kumpel sind hier zur Ruhe gebettet. Aber das ist nur ein Teil der Opfer eines Grubenunglücks, das zu den größten Bergwerkskatastrophen in der Geschichte der Kohleausbeutung zählt. Am 7. Juni 1920 sind in Anina 183 Bergarbeiter ums Leben gekommen. Väter liegen hier neben ihren Söhnen. Deutsche neben Rumänen (die meisten rumänischen Kumpel sind in ihren Heimatdörfern bestattet worden), Ungarn und Italienern. Die Namen Maigut, Löffler, Berger, Kindich, Lischka, Fridmansky usw. stehen neben den Namen Muntean, Goia, Ruhács, Giovannini, - Karl Urban, 78, Rentner in Steierdorf, erzählt: „Ich war dabei, als man die toten Bergleute aus dem Schacht barg. Lauter gesunde, kräftige Männer waren das. Die besten Häuer weit und breit. Schuld an dem Unglück war die schlechte Bewetterung (Klimatisierung der Schächte), waren die primitiven Verhältnisse von damals. An die 500 Witwen und Waisen blieben zurück. Unbeschreiblich war der Jammer. Nach der Katastrophe wollte niemand mehr einfahren. Viele Familien wanderten ab.“
Eigentlich hatte ich nichts weiter vor, als durch den Aninaer Teil der
Gerlischter Schlucht zu gehen. Die Mittagszeit war schon um, als ich am Eingang
in die „Schlucht“ vor den kleinen, gepflegten Häuschen eine Frau auf rumänisch
fragte, ob das Wasser, das aus einem Leitungsrohr hervorschoss, gut zu trinken
sei, und sie mir im schönsten „Aninarerisch“ versicherte: „A fein’s Wasser is
des.“
Der „Schluchtweg“ durch den Wald ist schön, aber nicht erschütternd. Felsen
sieht man nur ab und zu. Von oben, von der Bahnlinie, nimmt sich das alles viel
besser aus. Eine Stunde, und ich bin beim Steg, der über das schwarze Flüsslein
(schwarz von der Aninaer Kohlenwäscherei) aufs linke Ufer führt, von wo man zum
Bahnhof Gerlischte hinaufsteigt.
Mit einemmal sind sie da, die „schrecklich schönen“ Bilder des letzten
Durchmarsches. Das war vor mehr als zwanzig Jahren. Aber: Damals waren wir zu
vieren, heute bin ich allein. Trotzdem: Das Abenteuer lockt. Schon lasse ich den
nach Kraschowa führenden Karrenweg rechts liegen und schlage den rechtsufrigen
Fußpfad ein. Der war einmal gut. Jetzt fallen mir schon nach den ersten hundert
Metern Verse aus Goethes „Harzreise“ ein:
Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
hinter ihm schlagen
die Sträuche zusammen,
das Gras steht wieder auf,
die Öde verschlingt ihn…
Wenig Menschen sind hier noch durch. Zerbröckelt ist der Weg, verwaschen,
verschüttet. Stauden, sogar junger Bäume wachsen aus ihm heraus. Und die Lianen
(„Affenstricke“) sind auch dichter geworden. Es ist nicht leicht. Ich schneide
mir einen Stock. Mit ihm bahne ich mir den Weg durchs Gestrüpp. Von Zeit zu Zeit
eine bekannte Stelle: eine Wasserrinne, ein Felsbalkon. Da erkenne ich auch
schon am andern Ufer die alte Mühle wieder und die Höhle mit dem kristallklaren
Wasserstrahl, der das Werkel einst betrieb. Eingesunken ist die Mühle, verfault
das Rad, weggeschwemmt der Steg.
Hoch überm Fluss ist der Pfad in den Fels gehauen. Träte hier plötzlich
Hochwasser ein – nichts könnte passieren. So hoch herauf kommen die bösen Fluten
nicht (anders in der Neraklamm!). Immer dichter reihen sich die Felsrippen
(„cârşe“). Da – eine Kluft. Drüber zwei Balken. Sie kommen mir
nicht verlässlich vor. Behutsam rutsche ich hinüber.
Wenige Dutzend Meter weiter – ich fahre zusammen: eine Schlange auf dem Weg.
Dunkelbraun, fast schwarz. Das Zickzackband auf dem Rücken (das „Kainszeichen“)
verrät sie: eine Kreuzotter. Ein schönes Exemplar: bestimmt über drei viertel
Meter. „Geh mir aus dem Weg“, sage ich und drohe mit dem Stock. Sie hebt den
Kopf, bleibt aber ruhig. „Geh, oder ich hau dich“, drohe ich noch einmal. Sie
will nicht. Da berühre ich sie mit dem Stock. Wie der Wind flieht sie (ein
bisschen schnell für eine Otter) hangabwärts und verschwindet im Gebüsch. Das
hat mir gefehlt: die Sorge wegen der Schlangen. Jetzt werde ich tüchtig auf den
Busch klopfen müssen – nicht damit der Hase herausspringt (den es hier sowieso
nicht gibt), sondern um die Vipern zu verscheuchen.
Nach zwei Stunden Dschungelweg wasche ich mir bei einem Bach, der aus der
„Wasserhöhle“ („Peştera cu apă“) kommt, den Schweiß vom Gesicht.
Das Große Knie folgt. Immer enger die Schlucht, immer höher die Wände, immer
dichter das Felsengedränge.
Auf einer Geröllhalde mein zweites Schlangenerlebnis. Eine kleine graue Viper,
nicht mehr als vierzig Zentimeter lang, sonnt sich engmaschig in der Wegspur.
Mein Befehl, den Platz zu räumen und sich aus dem Staub zu machen, macht nicht
den geringsten Eindruck auf sie. Ich kitzele sie mit dem Stock. Es lässt sie
kalt. Da zwänge ich den Stecken in den Schotter und schaufele sie im Bogen weg.
Wer nicht hören will, muss fliegen.
Kein Wunder: man wird nervös. Zum Glück gibt es immer mehr zu sehen. Die
Schlucht wird wild und wilder. Hundert und mehr Meter hoch ragen die Felsen. Und
diese Stille. Nur das Wasser gurgelt in der Tiefe.
Wieder eine Kluft. Ich erschrecke. Die Balken fehlen. Wie hinüber? Die
anderthalb Meter überspringen? Kommt nicht in Frage. Der schmale Felsweg und das
überhängende Gestein gestatten keinen Anlauf. Die Kluft umgehen? Unmöglich: oben
und unten glatter Fels weit und breit. Kein Baum, kein Strauch, der helfen
könnte. Umkehren? Nein.
Ich werfe den Stock hinüber und setze mich auf den Kluftrand. Über mir entdecke
ich einen Vorsprung. Die rechte Hand klammert sich daran fest. Vom jenseitigen
Kluftrand kommt mir ein Riss entgegen – die einzige Hilfe. Gierig beißen die
Zähne des Kletterschuhs hinein. Sekundenlang hänge ich am Felsen. Ein kräftiger
Schwung dann, ich setze mich ab (ich weiß nicht mehr wie) – und lande drüben auf
allen vieren. Ich richte mich auf. Schau mich um. Das also war’s: das Abenteuer.
Über eine halbe Stunde wird noch fleißig auf den Busch geklopft. Vier Stunden
habe ich also gebraucht, um an die schweren Brocken der Gerlischter Schlucht
heranzukommen. Jetzt tauchen sie auf: die Basteien, das Große Portal, die
schwarze Wand des Babanu Negru mit dem Tunnel. Alles ist ins Riesenhafte
gesteigert, und der Höhepunkt ist zugleich auch der Ausklang. Es ist wie ein
Rausch.
Erst beim nächsten guten Wasser im Großen Tal, wo ich ein paar Bissen
herunterschlinge, komme ich zu mir. Jetzt ist es mir klar: Das alles kann man
billiger haben, wenn man „umgekehrt fährt“. Jetzt weiß ich auch, dass ich
Alleingänge dieser Art nicht mehr wagen werde. Oder doch?
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 71, S. 220 – 257)
Seite | Bildunterschrift |
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221 | Karte: Der Banater Karst. |
222 | Der große Kasan in er Klissura (Donauenge). |
224 | Uralt ist der Pfad, der vom Karstplateau in die Prolas, eine Furt auf dem Grund der Karasch-Klamm, hindurchführt. |
225 | Der Reschitzaer Gol ist ein nördlicher Fühler des Banater Karsts. |
226 – 227 | Im Frühjahr, wenn auf den Felshängen des Grad und des Zabel (Bild links) der violette Flieder blüht und in den Wiesengärten der Prolas (Bild unten) die Obstbäume in ihrer weißen Pracht dastehen, dann ist die Zeit der Ausflüge in die Karasch-Klamm gekommen. |
228 – 229 | Das Kraftwerk am Eisernen Tor (rumänisches Ufer). |
231 | Komarnik: Im „alten“ Hauptgang der Tropfsteinhöhle. |
232 | Wo vor zweihundert Jahren zwei kleine Hochöfen angeblasen wurden… |
233 | Im Tal, auf Hügeln und Berglehnen liegt die alte Kumpelstadt Anina. |
235 | Eine Waldbahn, die von Anina ausgeht, führt durchs obere Minischtal. |
236 | Malerische Gässchen zweigen in Orawitza von der Hauptgasse ab. |
237 | Der zweite (kleinere) der drei großen Bee-Fälle zur Dürrezeit. |
238 – 239 | Schmucke Häuser wie die im Fuchsental sind für Steierdorf, geschmückte Dachrinnen fürs Fuchsental typisch. |
240 | Am Nordostrand des Banater Karsts, schon in einer andern Welt, am Fuß des Semenik-Gebirges, liegt der Franzdorfer Stausee, beliebtestes Ausflugsziel der Reschitzaer und wichtige Wassersportbasis. |
241 | In der Aninaer Schlucht ragen die grauen Abraumhalden so hoch wie die weißen Felswände der Klamm, die hier beginnt. |
243 | Ohne Titel. |
246 | Links: Der Tunnel beim Babanu Negru in der Gerlischter Schlucht. |
249 | Das erste große Ereignis beim Ost-West-Durchstieg der Nera-Klamm: das Meliug-Tor. |
253 | Rechts: Die Bohuigrotte gehört zu den „feuchten“ Höhlen des Banater Karsts. Sie ist reich geschmückt. |
257 | Ein Sonderkapitel im Banater Karst ist die Klamm von Rudăria: Durch hartes, metamorphes Gestein hat sich das Wasser den Weg gebahnt. |