von Walter Kargel
Die Berge hatten es ihr angetan. In einer Zeit, als sie noch ganz den Hirten und
den Gämsenjägern gehörten, als man eine Retezat-Wanderung schon Monate im voraus
planen musste wie eine richtige Expedition mit Führern, Zelten und Pferden, als
noch Stille herrschte auf den Gipfeln – in dieser Zeit also sah Fanny vor
„ihrem“ Gipfel den Bucura-See silbern in der Morgensonne glitzern. Und es stand
für sie fest: ihr Dichtername soll fortan Bucura Dumbravă sein.
Als Tochter eines slowakischen Vaters und einer deutschen Mutter kam Fanny
Seculici 1868 in Bratislava, dem alten Pressburg an der Donau, zur Welt. Doch
schon fünf Jahre später übersiedelte sie mit ihren Eltern nach Bukarest. Das
junge Mädchen sprach außer ihrer deutschen Muttersprache fließend französisch,
englisch und rumänisch, die Sprache ihrer Wahlheimat. Sie lernte ihre neue
Heimat gründlich kennen. Sie liebte sie mit ihrem ganzen romantischen Wesen, sie
liebte die Menschen, die Sitten, die Trachten und nicht zuletzt die Landschaften
Rumäniens.
Sie wanderte. In der „sittsamen und logischen“ uralten Kleidung der Bergbauern
stieg sie auf den Butschetsch. Es machte ihr Freude, und an ihrer Freude wollte
sie auch andere teilhaben lassen: Mit Gleichgesinnten gründete sie in Sinaia den
ersten rumänischen Touristenverein.
Unermüdlich setzte sie sich für das Bergsteigen ein – und gleichzeitig für die
Erhaltung der Berge, für Naturschutz. Sie stand nicht allein. Mihai Haret und
Emanoil Bucuţa standen ihr zur Seite. Der Touring-Club Rumäniens wurde
gegründet, die erste Schutzhütte „Hanul Drumeţilor“ entstand in einer
Waldlichtung des Butschetsch.
In ihrer Liebe zum einfachen, gedemütigten Volk und seiner Freiheitskämpfer
griff sie zur Feder und schrieb in deutscher Sprache die großen, historischen
Romane „Der Heiduck“ und „Der Pandur“, deren Helden Iancu Jianu und Tudor
Vlaimirescu sind. Die Bücher wurden ins Rumänische übersetzt und fanden enormen
Anklang (bis 1970 zehn Auflagen).
Die rumänischen Bergsteiger verdanken ihr jedoch das schönste Bergbuch, das je
in rumänischer Sprache geschrieben wurde: „Cartea Munţilor“ - das
„Buch der Berge“.
Bucura Dumbravă schrieb es direkt in rumänischer Sprache, ein kleines
Meisterwerk, keine 100 Seiten stark, aber voll Begeisterung für die Berge, voll
Stimmung und Witz. Sie gab praktische Winke und begann dabei mit der Auswahl der
Gefährten… Sie schrieb über Ausrüstung und Ernährung, über gutes Benehmen,
Konversation und die Poesie des Biwakfeuers, über die Almen und Blumen, den
Schutz der Gebirgswelt, über die Pilgerfahrt zum „Fels der Felsen“, das
Matterhorn, dessen Gipfel ihr versagt blieb, über die erste Felsfahrt mit
Seiltechnik in der rumänischen Bergsteigergeschichte (auf die kühne Felsnadel
Acul Mare al Morarului). Und sie schrieb über Bergeinsamkeit.
Jäh schied Bucura Dumbravă aus dem Leben: 58jährig (1926), im Herzen noch
jung, starb sie auf der Heimreise aus Indien in Port Said an der schwarzen Pest.
Die dankbaren Bergsteiger setzten ihr ein Denkmal: Die Schwesterspitze des Omul,
deren Firnhaupt glitzernd in den blauen Winterhimmel schaut, erhielt den Namen
Bucura Dumbravă.
Es versteht sich von selbst, dass in einer unbekannten Gegend, in der keiner von uns über die Wege Bescheid weiß, der Grundsatz gelten muss: Jeden fragen, mit dem man zusammenkommt.
Wir suchen die Einsamkeit. Aber was ist Einsamkeit? Leben denn Wald, Heide und Bergeshöhen nicht ebenso gesellig wie wir? In Gemeinschaften Tausender und aber Tausender Einzelwesen? Ist die Natur nicht auch dem Gesetz des Werdens und Vergehens, der Metamorphose unterworfen? Die Natur ist keineswegs regloser und dauernder als die Menschheit. Selbst der Stein lebt, verwandelt sich, wird größer oder kleiner, verschmilzt mit anderer Materie – gar nicht zu reden vom Holz, Gras und Wasser, von den Blumen und Tieren.
Wann geht man am besten ins Gebirge? Zu jeder Zeit. Es gibt keine Saison, die uns den Weg zu den Bergeshöhen versperren könnte. Der richtige Bergsteiger kennt kein schlechtes Wetter. Er liebt die Natur in allen ihren Erscheinungen. Schließlich: Regen, Gewitter und Schneefälle sind im Hochgebirge auch im Sommer nichts Außergewöhnliches, und wir müssen immer auf sie gefasst sein.
Der Unterschied zwischen einem Miesmacher und einem vorsorgenden Touristen ist fundamental. Jener kann mit seiner Nörgelei und ängstlichen Unzufriedenheit den schönsten Ausflug verderben, während dieser mit seiner Klugheit, seiner einwandfreien materiellen und moralischen Ausrüstung dazu beiträgt, dass Schwierigkeiten vermieden oder überwunden werden.
In der Negoi-Hütte bin ich einmal bei schlechtem Wetter einem Herrn begegnet. Als sich der Himmel ein bisschen aufhellte, brach der Herr mit viel Geräusch auf, um die schöne Aussicht zu erwischen, die man bekanntlich vom Gipfel genießt. Er war bei seinem dritten Versuch; zweimal schon hatte er die Reise von Großwardein hierher umsonst gemacht. Ein tolles Gewitter brach auch diesmal los und zwang den Herrn zur Umkehr. Wütend betrat er die Hütte und rief: „Mich sieht der Negoi nicht wieder!“ Wie unser Negoi wohl diese harte Strafe ertragen mag?
Organisiert euer Leben so, dass euch Zeit bleibt, ins Gebirge zu gehen; so wird auch eure Arbeit gesund und ausgeglichen sein.
Bucura Dumbravă
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 71, S. 74 – 76)
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74 | 1915 am Caraiman, von einem Weggenossen gezeichnet |