von Heinz Heltmann
Als Kreuzweg der Blumen zeichnet sich Rumänien durch eine
außergewöhnlich reiche und schöne Pflanzenwelt aus. Ein besonderer
Platz kommt in ihrem Rahmen unserer farbenprächtigen Karpatenflora
zu, die mit etwa 900 Arten fast ein Viertel der gesamten
Pflanzenwelt unseres Landes ausmacht. Großes Interesse haben die
Botaniker und Blumenfreunde stets den seltenen und endemischen
Pflanzenarten unserer Gebirge entgegengebracht. Sie verleihen der
rumänischen Karpatenflora ihr spezifisches Gepräge und gehören zum
Teil, als Überreste der Flora längst vergangener geologischer
Perioden, zu den Besonderheiten unserer Bergflora. Tertiärrelikte
der Karpaten sind beispielsweise die Königsblume und die Eibe, und
zu den aus der Eiszeit in unseren Gebirgen verbliebenen
Pflanzenarten (Eiszeitrelikte) gehören u. a. Engelwurz und
Silberwurz. Durch das Prisma der Vegetationszonen betrachtet,
gehören die seltenen Vertreter unserer Karpatenflora der Buchenzone
(700 – 1300 m), der Nadelwaldzone (1300 – 1800 m) und
vor allem der alpinen Zone (über 1800 m) unserer Berge an.
Am Fuße unserer Karpaten erstrecken sich ausgedehnte Buchenwälder, zu
deren seltenen Pflanzen der Frauenschuh, das siebenbürgische
Leberblümchen, die dreiblättrige Waldsteinie und der
eisenhutblättrige Hahnenfuß gehören. Eine der größten botanischen
Seltenheiten unserer Buchenwälder ist der Frauenschuh (Abb. 1). Er
bevorzugt schattige, kühle Standorte der Bergwälder und ist durch
seine schöne, aparte Blüte durch Blumenhändler besonders
gefährdet. Die Entwicklung der Keim- und Jungpflanzen verläuft sehr
langsam (15 – 17 Jahre bis zur ersten Blüte). Von den sechs
Blumenblättern ist das eine in eine gelbe, schuhartige Lippe
umgewandelt. Blütezeit von Ende Mai bis Mitte Juni. Von einigen
Fundorten ist er völlig verschwunden (Zinne bei Kronstadt). Heute
kommt der Frauenschuh in den Wäldern von Kronstadt, Schässburg, im
Rarău-, Ceahlău- und Bihorgebirge sowie in den
Laubwäldern des Domogled (bei Herkulesbad) vor.
Oberhalb der Buchenwälder erstreckt sich die Fichtenstufe, von deren
botanischen Besonderheiten wir die Eibe und einige Orchideen, wie das
grüne Breitkölbchen, die Korallenwurz, das Netzblatt und das rote
Waldvöglein, erwähnen wollen. Auf Kalkfelsen der Fichtenwälder wachsen
die ebenfalls selten gewordene Königsblume und das breitblättrige
Pfaffenkäppchen. In der montanen und subalpinen Zone erscheint von
unseren seltenen Gehölzen nur noch an einigen Stellen die Waldkiefer,
während sich an der oberen Waldgrenze die wenigen natürlichen
Standorte der Karpatenlärche und der Zirbelkiefer oder Arve befinden.
Die Eibe ist dank ihrem wertvollen Holz unser edelster Nadelbaum. Ihr
Holz ist harzlos, ungemein hart und eignet sich vorzüglich zum
Schnitzen. Von dieser Eigenschaft rührt auch ihr lateinischer
Gattungsname (Taxus) her, der soviel wie Schnitzholz bedeutet. Früher
wurde ihr Holz vor allem zum Anfertigen von Bogen, Holzgefäßen und
anderen Gebrauchsgegenständen verwendet. Dadurch schmolzen die
Eibenbestände auch bei uns immer mehr zusammen. Die Eibe ist der
einzige zweihäusige Nadelbaum, den es heute noch gibt. Alle Teile der
Pflanze, außer dem roten Samenmantel, sind giftig. In unseren Karpaten
kommt die Eibe nur noch in den Burzenländer Gebirgen, im Fogarascher
und in dem Westgebirge sowie in den Banater Bergen (Semenik) vor.
Die gemeine Kiefer oder Waldkiefer hat bei uns nur noch wenige
natürliche Vorkommen (Butschetsch, Ceahlău). In der Eiszeit war
sie die vorherrschende Baumart unserer Karpaten und wurde in der
wärmeren Nacheiszeit von der konkurrenzfähigeren Fichte und Eiche
abgedrängt. Nur auf schroffen Felsen einiger Gebirgsstöcke sowie in
Hochmooren (z. B. Mohoș – Annensee) konnte sie eine
letzte Zuflucht finden.
Auch unsere Karpatenlärche kommt wildwachsend nur noch in wenigen
Gebirgsmassiven der Karpaten vor. In größerer Anzahl tritt sie im
Mălăieștier Tal des Butschetsch (1300 bis 2050 m)
auf und steigt hier vereinzelt bis zu den Steilhängen des
Bucșoi empor. Sie ist sehr widerstandsfähig. Die Lärche
verliert als einziger unserer Nadelbäume über den Winter ihre
Nadeln. Die hervorragende Güte ihres Holzes war „schuld“
daran, das Ende des 19. Jahrhunderts durch massive Abholzung fast alle
unsere Lärchenbestände geschlagen wurden. Außer im Butschetsch gibt es
in Rumänien heute kleine Bestände nur noch im Ceahlău-, Lotru-,
Westgebirge und im Krähenstein (Ciucaș).
Die Königsblume (Abb. 2) ist ein Zwergstrauch des Fichtenwaldes und
der alpinen Zone. Wegen des angenehmen, nelkenartigen Duftes ihrer
gelb-weißen Blüten hat die Königsblume besonders viele Verehrer und
ist dadurch vor allem in den Burzenländer Bergen gefährdet. Die
Notwendigkeit ihres Schutzes erkannten Prof. J. Römer und
Prof. H. Wachner (beide Kronstadt) schon vor 45 Jahren und riefen alle
Bergfreunde zu ihrem Schutz auf. Außer in den Burzenländer Bergen
kommt die Königsblume noch in wenigen Massiven der Südkarpaten (Cozia,
Nauruțiu, Căpățâna, Mehedinți) und
im Bihorgebirge vor.
Die Zirbelkiefer oder Arve wächst als Eiszeitrelikt nur noch
vereinzelt in unseren höheren Massiven an der oberen Baumgrenze (1700
m) oder in der alpinen Zone (bis 2100 m). Sie gilt gewissermaßen als
Charakterbaum des Retezatgebirges. Ihre Vermehrung wird besonders
dadurch beeinträchtigt, dass ihre Samen schmackhaft sind und von
Vögeln und Nagetieren gerne gefressen werden. Weitere Gebirge unserer
Karpaten, in denen die Arve noch vorkommt, sind das Rodna-, das
Butschetsch-, das Fogarascher und das Zibinsgebirge.
Die Baumgrenze (1700 – 1800 m) ist für das Vorkommen unserer
seltenen Karpatenpflanzen eine wichtige Scheidelinie. Oberhalb wächst
ihre Zahl sprungartig an. Die Hänge der hier beginnenden alpinen Zone
sind mit Latschen oder bestimmten Strauchgesellschaften (Alpenrose,
Zwergwacholder, Heidel- und Preiselbeere) bedeckt, die meist den
Übergang zu den alpinen Matten bilden. Hier, auf diesen Matten
bzw. auf den Grasbändern der steil abstürzenden Felswände und
Schluchten, ist das Reich vieler Endemismen und Seltenheiten unserer
Karpatenflora. Auffallend sind die intensiven satten Farben und der
kleine Wuchs (Polsterwuchs) der Gewächse, die durch die starke
Lichtstrahlung (reine Luft!) bedingt werden. Besonders reichhaltig und
reizvoll ist die Pflanzenwelt unserer Kalkgebirge. Zu den bekannteren
seltenen oder endemischen Pflanzen der alpinen Zone gehören das
Edelweiß, das Kohlrösel, die Königsteinnelke, der gelbe Enzian, die
Echte Engelwurz, die siebenbürgische Alpenrose, die siebenbürgische
Akelei (Fogarascher Gebirge), der siebenbürgische Steinbrech
(Burzenländer Gebirge), die Saumnarbe, die Faltenlilie und die
Alpenwachsblume. Ihre Zahl beläuft sich auf über 100 Arten. Wohl die
seltenste Pflanze unserer Karpaten ist aber Baumgartens
Schlüsselblume, die bisher nur zweimal am Ostabhang des Schuler (bei
Kronstadt) gefunden worden ist.
Das Edelweiß (Abb.3) ist die meistbegehrte Blume unserer Gebirge, und
schon seit Jahrzehnten das Symbol der Touristik. Vor allem der
Edelweißhandel der Hirten hat die Bestände in einigen Gebirgen
(Butschetsch, Rarău) stark verringert. Mit seinem dichten
weißen Haarfilz passt sich das Edelweiß gut an die kargen
Klimaverhältnisse (Wind, Sonne) der Hochgebirge an. Seine Scheinblüte,
die durch die hochgedrückten und zurückgebogenen Laubblätter zustande
kommt, bildet einen wirksamen Schauapparat, der die bestäubenden
Insekten anlockt.
Zu den größten Kostbarkeiten unserer Karpatenflora gehört die
Königsteinnelke, deren Vorkommen nur auf das Königsteinmassiv
beschränkt ist. Sie hatte früher eine größere Verbreitung und wird
heute als ein im Aussterben begriffenes Relikt betrachtet. Als
pflanzengeographisches Kuriosum wurde sie dank ihrer
wissenschaftlichen Bedeutung schon 1936 unter Naturschutz gestellt.
Gelber Enzian und Echte Engelwurz sind schon aus dem Altertum als
wichtige Heilpflanzen bekannt. Übermäßiges Sammeln für Heilzwecke
machte sie zu seltenen Pflanzen unserer Karpaten.
Das Kohlrösel tritt wie viele unserer Orchideen nur sporadisch auf den
Grasmatten unserer Gebirge auf. Ihm werden seine karminroten
Blütenköpfchen und er angenehme Vanilleduft zum Verhängnis.
Damit haben wir die bekannteren von unseren seltenen Karpatenpflanzen erwähnt. Einige davon sind heute ernst gefährdet. Uns allen erwächst die Aufgabe, für ihren Schutz Sorge zu tragen, wenn die Kleinode unserer Pflanzenwelt auch den künftigen Generationen erhalten bleiben sollen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 65 – 69)
Seite | Bildunterschrift |
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65 | Frauenschuh (Buchenwaldzone) |
67 | In den Burzenländer Bergen gefährdet: die Königsblume. |
68 | Bewundern – ja, pflücken – nein. Das Edelweiß steht unter Naturschutz. |
69 | Karikatur: „Oh, was für eine wunderbare Aconitum variegatum (Bunter Eisenhut)!“ |