home - Komm mit - 1970 - Rumänische Landschaft
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren
PDF

Rumänische Landschaft

von Georg Hromadka

Zeus’ Glück müsste man haben, auf dem Olymp müsste man wohnen und von dort die Erde überblicken... Aber lassen wir die unzulänglichen Götter. Mit dem Flugzeug müsste man sich hochheben und übers Land fliegen. Jedoch: Auch eine gewöhnliche Flugreise eignete sich nicht. Selbst wenn sie von Bukarest nach Hermannstadt, Klausenburg oder Temesvar führte. Höher steigen müsste man: in Weltrekordhöhe (etwa 35 000 Meter) und höher.
Wir würden (im Flug) das Meer sehen und sein gegen Sonnenaufgang gerichtetes Gestade: die Schwarzmeerküste. Wir würden den Strom sehen (den zweitgrößten Europas), den Donaustrom, der, ehe er sich vielarmig ins Meer ergießt, durch rumänisches Land rollt und sich die Krone aufsetzt: das Donaudelta. Wir würden das hochgefaltete Gebirge sehen, das wie die Wirbelsäule eines Titanen (wir wollen ihn nicht Atlas nennen; der macht woanders Geographie) das Land zusammenhält: die Karpaten. Flüsse würden wir sehen, die fast alle im großen Gebirge entspringen, das Land nach allen Seiten hin durchziehen und ihr Wasser (mittelbar oder unmittelbar) der Donau zuführen. Denn alle Flüsse Rumäniens, von wie weit sie auch kommen, tragen ihr Wasser der Donau, dem Schwarzen Meer zu. Gebirge würden wir sehen, Hügelland und Ebenen, die sich weithin dehnen. Nadelwälder würden wir ausnehmen, die ihre dunklen Mäntel um Felsen und Almen werfen, Laubwälder, die Berge, Hügel und Ebenen mit lichtem Grün bedecken.
Noch einmal und deutlicher als sonst würde uns (aus dieser Höhe) die glücklich-harmonische Dreieckskomposition als hervorstechendes Merkmal ins Touristenauge fallen: Karpaten – Donau – Schwarzmeerküste.
Karpaten, Donau, Meeresküste – das ist nicht alles. Rücken wir dem Bodenrelief bei Flug-, Eisenbahn- oder Autoreisen näher, so (und nun erst) entdecken wir die denkbar reichste Skala landschaftlicher Erscheinungen. Wir entdecken das Westgebirge, das Banater Mittelgebirge, die Berge von Măcin (zwischen Donau und Schwarzem Meer), die vom gleichen Jahrgang sind wie das skandinavische Urgebirge, entdecken die fruchtbare Banater Heide und den Bărăgan (der nicht minder fruchtbar ist, aber seine Steppenvergangenheit nicht verleugnen kann). Nicht zuletzt entdecken wir die Städtelandschaft und alles, was damit an Altüberliefertem und Umwälzend-Neuem zusammenhängt.
Fragte man mich, was die rumänische Landschaft am ehesten kennzeichne, so antwortete ich, ohne zu zögern: die Vielfalt. Ich kenne kein Land in Europa (jedenfalls keins von der Dimension unserer Heimat), das eine solche Mannigfaltigkeit landschaftlicher Phänomene aufweisen könnte.
Beginnen wir mit den Karpaten, der großen Wasser- und Wetterscheide. Sie machen zwar nicht das Wetter Rumäniens (obwohl sie periodisch und in gewissen Grenzen auch hier ihren Beitrag leisten), aber sie stecken im Wesentlichen die Klimazonen ab. Ihnen verdanken wir großenteils die Klimaunterschiede: in Siebenbürgen und strichweise auch im Banat den atlantischen Einfluss, im Banat (im Süden besonders) und in Oltenien die Mittelmeerströmung, im Bărăgan, in der Dobrudscha und in der Moldau den kontinentalen Charakter.
Sehen wir uns die Struktur der Berge an: Kein Massiv gleicht in den Karpaten dem anderen. Wir kennen kristalline, sedimentäre und vulkanische Massive. Wir haben den granitbetonten, für die Ewigkeit gebauten Retezat und den vom Kalkstein dominierten, vom Zahn der Zeit zernagten Königstein, haben die Butschetsch- und Krähenstein-Konglomerate und den schründigen Schiefer der Fogarascher Berge, haben die vulkanische Kette Harghita – Gurghiu – Căliman – Țibleș – Gutin (die längste Europas) und, dazwischengeschoben, das kristalline Rodna-Gebirge. Wir haben das isoliert gelegene Westgebirge, das mit seinen Kalk-, Schiefer- und Basaltformationen allein schon ein geologisches Bilderbuch darstellt, und haben den Banater Karst mit seinen einmaligen Schluchten und Klammen (der Kasanpass zählt dazu).
Und die Täler! Wir haben das geschichtsreiche Marosch-(Mieresch-)Tal und das sagenerfüllte Tal der Goldenen Bistritz, haben den majestätischen Alt und die malerische Cerna, den goldtragenden Arieș und die weinbekränzte Kokel.
Denselben Unterschied stellen wir fest, wenn wir die menschlich-verdichtet-verlieblichte Banater Heide mit dem (wie George Vâlsan es nennt) „trockenen, tallosen, unbewaldeten Flachland“ des Bărăgan, unserer Kornkammer Nr. 1, vergleichen oder das historisch „unterbaute“ Hatzeger Land (Țara Hațegului) mit dem folklorisch durchsetzten Oascher Land (Țara Oașului).
Rumäniens Seebäder sind (wir haben es schon gesagt) der Morgensonne zugewandt, ihre Strände sind geräumig, flach und mit feinstem Sand bedeckt. Aber sie gleichen einander nicht. Sie haben individuelles Gepräge. Heilbäder und Luftkurorte haben wir in allen Teilen des Landes: im Gebirge, im Hügelland, in der Ebene. Nennen wir (nur um die Vielfalt zu illustrieren) einige Namen: Herkulesbad, Sovata, Borsec, Busiasch, Slănic, Amara, Vatra Dornei, „1. Mai“ (Großwardein), Borșa, Geoagiu, Predeal, Salzburg, Ocna Sibiului. Über zweitausend Mineralquellen entspringen in unserem Land (die meisten in der Nähe vulkanischer Gebirgsstöcke). Viele werden methodisch genutzt, dienen den Trink- und Badekuren oder liefern das als „Borviz“ geschätzte Tafelwasser.
Reich ist die Fauna, reich die Flora Rumäniens. Wir haben eine spezifische Tier- und Pflanzenwelt; ihre Skala reicht von der Trappe bis zum Karpatenbären, von der Königsteinnelke bis zur Zirbelkiefer. Die Gämse hat sich von den Kriegsfolgen (jawohl: auch für das arme Getier war der Krieg ein Unheil) schnell erholt und tummelt sich im Sommer nicht nur auf den Granithalden des Retezat, wo sie weitgehend geschützt ist (auch vor dem Lärm gewisser Touristen). Meister Petz hat sich (besonders in den Südkarpaten) derart vermehrt, dass sich die Hirten beklagen: Er ist zudringlich geworden – zudringlicher als je. Rot- und Schwarzwild gedeihen wieder gut (die häufigen, beinahe ans Latein grenzenden Jägerrekord-Berichte in den Zeitungen beweisen es). Nur Meister Lampe geht es in manchen Gebieten (im Banat zum Beispiel) nicht gut. Schlecht steht es (auch bei uns) mit den Adlerartigen. Ob die Restbestände der großen Raubvögel erhalten werden können, ist heute eine europäische Frage.
Vielfältig wie die Naturschönheiten sind die natürlichen Reichtümer unseres Landes. Erinnern wir nur ans Holz, an die Kohle, ans Salz, ans Erdgas. Und vergessen wir nicht die Kraft des Wassers. Unvorstellbar wäre ohne sie der Wirtschaftsaufschwung, die Umwandlung Rumäniens in einen modernen Industriestaat – das Ziel des sozialistischen Aufbaus.
Ein Blick noch auf die architektonische Mannigfaltigkeit der rumänischen Landschaft, der Städte, der Dörfer. Welche Spannweite der Stile: von der spätgotischen Schwarzen Kirche zur byzantinischen Bischofskirche von Curtea de Argeș, von den Wehrburgen Siebenbürgens zu den Klöstern der Bukowina, vom Barock des Temesvarer Doms zur moldauisch-orientalischen Ornamentik der „Trei Ierarhi“ in Jassy. Und erst recht von der „Holzgotik“ der Maramuresch zu den luftig-farbigen Glas-Stahl-Beton-Bauten an der Küste, von den Außenfresken der Georgskirche in Voroneț zu den Perahim-Mosaiken am Meer. Und welch ein Unterschied zwischen einem Banater Heidedorf und einem Bergdorf der Bukowina.
Von dem Reichtum Rumäniens, seiner Naturlandschaft, seiner Kunstdenkmäler, seiner Volkskunst staunt der Einheimische ebenso wie der weitgereiste Gast aus dem Ausland. Es ist überwältigend. Diese Vielfalt in einem Büchlein zusammenzufassen – daran denken wir gar nicht. Was wir versuchen wollen, ist dies: die Reise- und Wanderlust zu wecken. Und nachzuweisen: Rumänien ist das Reiseland par Excellenze.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 4 – 8)

Seite Bildunterschrift
4 Wenig Berge sind so von Sage und Geschichte umwoben, von pulsierendem Leben umgeben wie der Ceahlău.
nach oben nach oben