von Georg Hromadka
Zeus’ Glück müsste man haben, auf dem Olymp müsste man wohnen und von
dort die Erde überblicken... Aber lassen wir die unzulänglichen
Götter. Mit dem Flugzeug müsste man sich hochheben und übers Land
fliegen. Jedoch: Auch eine gewöhnliche Flugreise eignete sich
nicht. Selbst wenn sie von Bukarest nach Hermannstadt, Klausenburg
oder Temesvar führte. Höher steigen müsste man: in Weltrekordhöhe
(etwa 35 000 Meter) und höher.
Wir würden (im Flug) das Meer sehen und sein gegen Sonnenaufgang
gerichtetes Gestade: die Schwarzmeerküste. Wir würden den Strom
sehen (den zweitgrößten Europas), den Donaustrom, der, ehe er sich
vielarmig ins Meer ergießt, durch rumänisches Land rollt und sich
die Krone aufsetzt: das Donaudelta. Wir würden das hochgefaltete
Gebirge sehen, das wie die Wirbelsäule eines Titanen (wir wollen ihn
nicht Atlas nennen; der macht woanders Geographie) das Land
zusammenhält: die Karpaten. Flüsse würden wir sehen, die fast alle
im großen Gebirge entspringen, das Land nach allen Seiten hin
durchziehen und ihr Wasser (mittelbar oder unmittelbar) der Donau
zuführen. Denn alle Flüsse Rumäniens, von wie weit sie auch kommen,
tragen ihr Wasser der Donau, dem Schwarzen Meer zu. Gebirge würden
wir sehen, Hügelland und Ebenen, die sich weithin
dehnen. Nadelwälder würden wir ausnehmen, die ihre dunklen Mäntel um
Felsen und Almen werfen, Laubwälder, die Berge, Hügel und Ebenen mit
lichtem Grün bedecken.
Noch einmal und deutlicher als sonst würde uns (aus dieser Höhe) die
glücklich-harmonische Dreieckskomposition als hervorstechendes
Merkmal ins Touristenauge fallen: Karpaten – Donau –
Schwarzmeerküste.
Karpaten, Donau, Meeresküste – das ist nicht alles. Rücken wir dem
Bodenrelief bei Flug-, Eisenbahn- oder Autoreisen näher, so (und nun
erst) entdecken wir die denkbar reichste Skala landschaftlicher
Erscheinungen. Wir entdecken das Westgebirge, das Banater
Mittelgebirge, die Berge von Măcin (zwischen Donau und
Schwarzem Meer), die vom gleichen Jahrgang sind wie das skandinavische
Urgebirge, entdecken die fruchtbare Banater Heide und den
Bărăgan (der nicht minder fruchtbar ist, aber seine
Steppenvergangenheit nicht verleugnen kann). Nicht zuletzt entdecken
wir die Städtelandschaft und alles, was damit an Altüberliefertem und
Umwälzend-Neuem zusammenhängt.
Fragte man mich, was die rumänische Landschaft am ehesten kennzeichne,
so antwortete ich, ohne zu zögern: die Vielfalt. Ich kenne kein Land
in Europa (jedenfalls keins von der Dimension unserer Heimat), das
eine solche Mannigfaltigkeit landschaftlicher Phänomene aufweisen
könnte.
Beginnen wir mit den Karpaten, der großen Wasser- und
Wetterscheide. Sie machen zwar nicht das Wetter Rumäniens (obwohl sie
periodisch und in gewissen Grenzen auch hier ihren Beitrag leisten),
aber sie stecken im Wesentlichen die Klimazonen ab. Ihnen verdanken
wir großenteils die Klimaunterschiede: in Siebenbürgen und strichweise
auch im Banat den atlantischen Einfluss, im Banat (im Süden besonders)
und in Oltenien die Mittelmeerströmung, im Bărăgan, in
der Dobrudscha und in der Moldau den kontinentalen Charakter.
Sehen wir uns die Struktur der Berge an: Kein Massiv gleicht in den
Karpaten dem anderen. Wir kennen kristalline, sedimentäre und
vulkanische Massive. Wir haben den granitbetonten, für die Ewigkeit
gebauten Retezat und den vom Kalkstein dominierten, vom Zahn der Zeit
zernagten Königstein, haben die Butschetsch- und
Krähenstein-Konglomerate und den schründigen Schiefer der Fogarascher
Berge, haben die vulkanische Kette Harghita – Gurghiu – Căliman
– Țibleș – Gutin (die längste Europas) und,
dazwischengeschoben, das kristalline Rodna-Gebirge. Wir haben das
isoliert gelegene Westgebirge, das mit seinen Kalk-, Schiefer- und
Basaltformationen allein schon ein geologisches Bilderbuch darstellt,
und haben den Banater Karst mit seinen einmaligen Schluchten und
Klammen (der Kasanpass zählt dazu).
Und die Täler! Wir haben das geschichtsreiche Marosch-(Mieresch-)Tal
und das sagenerfüllte Tal der Goldenen Bistritz, haben den
majestätischen Alt und die malerische Cerna, den goldtragenden
Arieș und die weinbekränzte Kokel.
Denselben Unterschied stellen wir fest, wenn wir die
menschlich-verdichtet-verlieblichte Banater Heide mit dem (wie George
Vâlsan es nennt) „trockenen, tallosen, unbewaldeten
Flachland“ des Bărăgan, unserer Kornkammer Nr. 1,
vergleichen oder das historisch „unterbaute“ Hatzeger Land
(Țara Hațegului) mit dem folklorisch durchsetzten
Oascher Land (Țara Oașului).
Rumäniens Seebäder sind (wir haben es schon gesagt) der Morgensonne
zugewandt, ihre Strände sind geräumig, flach und mit feinstem Sand
bedeckt. Aber sie gleichen einander nicht. Sie haben individuelles
Gepräge. Heilbäder und Luftkurorte haben wir in allen Teilen des
Landes: im Gebirge, im Hügelland, in der Ebene. Nennen wir (nur um die
Vielfalt zu illustrieren) einige Namen: Herkulesbad, Sovata, Borsec,
Busiasch, Slănic, Amara, Vatra Dornei, „1. Mai“
(Großwardein), Borșa, Geoagiu, Predeal, Salzburg, Ocna
Sibiului. Über zweitausend Mineralquellen entspringen in unserem Land
(die meisten in der Nähe vulkanischer Gebirgsstöcke). Viele werden
methodisch genutzt, dienen den Trink- und Badekuren oder liefern das
als „Borviz“ geschätzte Tafelwasser.
Reich ist die Fauna, reich die Flora Rumäniens. Wir haben eine
spezifische Tier- und Pflanzenwelt; ihre Skala reicht von der Trappe
bis zum Karpatenbären, von der Königsteinnelke bis zur
Zirbelkiefer. Die Gämse hat sich von den Kriegsfolgen (jawohl: auch
für das arme Getier war der Krieg ein Unheil) schnell erholt und
tummelt sich im Sommer nicht nur auf den Granithalden des Retezat, wo
sie weitgehend geschützt ist (auch vor dem Lärm gewisser
Touristen). Meister Petz hat sich (besonders in den Südkarpaten)
derart vermehrt, dass sich die Hirten beklagen: Er ist zudringlich
geworden – zudringlicher als je. Rot- und Schwarzwild gedeihen wieder
gut (die häufigen, beinahe ans Latein grenzenden Jägerrekord-Berichte
in den Zeitungen beweisen es). Nur Meister Lampe geht es in manchen
Gebieten (im Banat zum Beispiel) nicht gut. Schlecht steht es (auch
bei uns) mit den Adlerartigen. Ob die Restbestände der großen
Raubvögel erhalten werden können, ist heute eine europäische Frage.
Vielfältig wie die Naturschönheiten sind die natürlichen Reichtümer
unseres Landes. Erinnern wir nur ans Holz, an die Kohle, ans Salz, ans
Erdgas. Und vergessen wir nicht die Kraft des Wassers. Unvorstellbar
wäre ohne sie der Wirtschaftsaufschwung, die Umwandlung Rumäniens in
einen modernen Industriestaat – das Ziel des sozialistischen Aufbaus.
Ein Blick noch auf die architektonische Mannigfaltigkeit der
rumänischen Landschaft, der Städte, der Dörfer. Welche Spannweite der
Stile: von der spätgotischen Schwarzen Kirche zur byzantinischen
Bischofskirche von Curtea de Argeș, von den Wehrburgen
Siebenbürgens zu den Klöstern der Bukowina, vom Barock des Temesvarer
Doms zur moldauisch-orientalischen Ornamentik der „Trei
Ierarhi“ in Jassy. Und erst recht von der „Holzgotik“
der Maramuresch zu den luftig-farbigen Glas-Stahl-Beton-Bauten an der
Küste, von den Außenfresken der Georgskirche in Voroneț zu den
Perahim-Mosaiken am Meer. Und welch ein Unterschied zwischen einem
Banater Heidedorf und einem Bergdorf der Bukowina.
Von dem Reichtum Rumäniens, seiner Naturlandschaft, seiner Kunstdenkmäler, seiner Volkskunst staunt der Einheimische ebenso wie der weitgereiste Gast aus dem Ausland. Es ist überwältigend. Diese Vielfalt in einem Büchlein zusammenzufassen – daran denken wir gar nicht. Was wir versuchen wollen, ist dies: die Reise- und Wanderlust zu wecken. Und nachzuweisen: Rumänien ist das Reiseland par Excellenze.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 4 – 8)
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4 | Wenig Berge sind so von Sage und Geschichte umwoben, von pulsierendem Leben umgeben wie der Ceahlău. |