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Reinecke Fuchs ließ sich nicht filmen

von Rolf Cramer

Bass erstaunt waren die Mühlbacher, als sie eines Sommertags ein Vier-Mann-Team in voller Bergsteigerausrüstung, mit Seilen, Nagelschuhen, Zelt und Ferngläsern, durch die Straßen ihrer Stadt stapfen sahen. Die nächstgelegene felsige Gegend,, wo diese Ausstattung Sinn gehabt hätte, liegt immerhin in einer Entfernung von beinahe hundert Kilometern. Trotzdem sollten sie von nun an Stelian Penu, Laurențiu Mărculescu, Vasile Ungureanu und das ortskundige Totumfaktum Gigel öfters und für längere Zeit zu Gast haben.
Die Gebirgsausrüstung, zu der sich auch ein filmtechnisches Komplet hinzugesellte, galt dem Roten Berg, einer geologischen Formation, die, sechs Kilometer von der Stadt entfernt, durch ihre Gestalt, ihre Flora und Fauna die Aufmerksamkeit der Filmleute des Bukarester Sahia-Studios auf sich gelenkt hatte. Der Elf-Minuten-Farbfilm, der hier in geduldiger Kleinarbeit entstanden ist, versetzt uns dank der meisterhaften Kameraführung in die steile, zweihundert Meter hohe und dreihundert Meter breite Wand des Roten Berges, lässt uns faunistische Lebensfreude und Tragik aus greifbarer Nähe miterleben. Stunden-, oft auch tagelang hat Kameramann Mărculescu im Seilstuhl gehangen und auf die Fütterung von jungen Bienenfressern, Dohlen oder Habichten gepasst. Um ein vom Team ausgemachtes Wiesel vor das Objektiv zu bekommen, wurden wochenlang die kompliziertesten Vorbereitungen getroffen und zwingende Strategien ausgeklügelt. Jedesmal aber war das Wiesel flinker als vorausgesehen. Schließlich scheint es dem Tier doch zu dumm geworden zu sein, denn eines Tages, als eigentlich die Rehe im Programm standen, stellte es sich unerwartet der Kamera und ließ sich in idealer Weise „belauschen“ – als ob es sich um eine abgesprochene Kooperation handle.
Viel Arbeit gab es beim Porträtieren der Hasen, doch sind dem Team bis zum Schluss mit dem niedlichen Paarungsspiel und dem dramatischen Zustoß eines Adlers Aufnahmen gelungen, die sich sehen lassen können. Allmählich, im Verlauf von zwei Jahren, denn auf diese Zeitspanne erstreckten sich die Aufnahmearbeiten, stellten sich Dachse und Wiesel, Hasen und Rehe, Raub- und Singvögel, sämtliche Vierbeiner und Vogelarten, die hier beheimatet sind, mit allen ihren für die verschiedenen Jahreszeiten charakteristischen Eigenheiten zur Verfügung. Hartnäckige Ausnahmen bildeten der überschlaue Reinecke Fuchs und die blinzelnde Eule. Beide Tiere gehören der Fauna des Roten Bergs an. Sie waren gesichtet worden und sollten deshalb aus dem Streifen nicht fehlen, doch wollte es dem Team nicht gelingen, an sie heranzukommen. Überhaupt ließ es sich im zweiten Jahr viel schwerer arbeiten. Der Grund hierfür lag einerseits in dem durch die Filmarbeiten plötzlich geweckten Interesse für den Roten Berg. Neugierige in großer Zahl fanden sich ein und störten durch ihr „ungezwungenes“ Benehmen das Leben der Tiere. Zu allem Überdruss wurden in der Nähe des Roten Bergs auch noch verschiedene Sportübungen abgehalten, deren lautes Getümmel die armen Tiere ganz verstörte und teilweise vertrieb.
Als verzeihlichen Kunstgriff darf man es daher werten, wenn sich das Team einen zwar echten, aber ortsfremden Fuchs liefern ließ und als „Star in Gage“ am Roten Berg, vor der Kamera, aussetzte. Die Wirklichkeit wurde dadurch nicht verfälscht – umso weniger, als der Fuchs sich nachher nicht mehr einfangen ließ... Spielleiter Penu erzählt die Geschichte dieses einzigen bezahlten Akteurs mit Augenzwinkern.
Beim Eulen-Trick hingegen gab es ein bisschen mehr Ärger, denn obwohl die Nahaufnahmen gut gelungen sind, ist der lichtscheue Vogel bei den übrigen Aufnahmen doch als ein ausgestopftes Exemplar erkennbar. Dazu Kameramann Mărculescu: „Leider versteifte ich mich bei meinem vorherigen Bären-Film hartnäckig auf lebendige Tiere – und hätte dabei fast draufgezahlt...“
Aber auch rein optisch, für den weniger müßigen Touristen, ist der Rote Berg eine Sehenswürdigkeit. Inmitten einer hügeligen Landschaft erhebt sich vor einem die schroffe Wand aus roter, bröckliger Tonerde. Regen und Schneeschmelze, Wind und Wetter, Hitze und Kälte haben bizarre, ständig wechselnde Formen hervorgebracht. Abends, bei Sonnenuntergang, ist es, als ob sich des Berges ein Feuer mit hochzüngelnden Flammen bemächtigen würde...

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 200 – 201)

Seite Bildunterschrift
201 Wie ein Bildwerk von Riesenhand: der „Rote Berg“.
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