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Pioniere des Bergsteigens

von Alfred Hann

Wenn wir heute als moderne Touristen mit Auto, Motorrad oder Seilschwebebahn in wenigen Stunden bis hart in die Nähe hoher und höchster Gipfel gelangen können und von dort erst auf Schusters Rappen, meisterhaft angelegten und gut markierten Wegen entlang, unsere Wanderung in lichter Höhe antreten, um dann schon nach kurzer Zeit in der erstbesten Schutzhütte Rast zu machen, einen Imbiss einnehmen und dann womöglich schon am gleichen Tage „motorisiert“ wieder die Heimfahrt antreten, übersehen wir nur zu oft die Spuren, die uns die Pioniere der Touristik hinterließen, jener Männer, die uns vor vielen Jahrzehnten erstmals die Tore der Bergwelt eröffneten.
Es war nur ein kleines Häuflein von begeisterten Touristen, die sich vor etwa 100 Jahren bemühten, in ihrem gesellschaftlichen Umkreis das Interesse für unsere Berge und ihre Schönheiten zu wecken. Die komplizierten Arbeitsbedingungen schufen damals schon das Bedürfnis, im unerschöpflichen Gesundbrunnen der Natur neue Kräfte zu sammeln für die Aufgaben des Lebens. Auch in der Therapie der ärztlichen Wissenschaft erlangten Wasser, Luft und Sonne allmählich das verdiente Bürgerrecht. Andererseits gab es unter den ersten Touristen und Alpinisten – genauso wie in unseren Tagen – Leute, die von vornherein das Schwergewicht auf das Sportliche legten und dem Bergsteigen huldigten, um ihre Abenteuerlust und ihren Ehrgeiz zu befriedigen.
Alle zusammen haben schließlich dazu beigetragen, das Bergwandern zu fördern, und in der Zeit der Vereinsgründungen schlossen sie sich zu Verbänden zusammen, um in gemeinsamer, uneigennütziger, immer besser organisierter Arbeit auch bei uns immer größeren Menschengruppen die Bergwelt zu erschließen. Einer der ersten derartigen Zusammenschlüsse erfolgte im Jahre 1873 in Kronstadt durch die Gründung des „Siebenbürgischen Alpenvereins“, der aber wegen seiner allzu betonten Exklusivität als ein kleiner Kreis von Naturfreunden nur begrenzten Erfolg hatte. Sieben Jahre später war es dem „Siebenbürgischen Karpatenverein“ (SKV) vorbehalten, den Ausbau und die Belebung der Touristik auf breitester Grundlage in Angriff zu nehmen.
Ein Kreis von verdienten Männern aus ganz Siebenbürgen – zu Beginn waren es nicht mehr als 35 –, darunter Dr. Carl Wolff, der Verfasser des Aufrufs zur Gründung eines siebenbürgischen Karpatenvereins, scharten sich um den ersten Vereinsobmann Dr. Karl Conradt, dessen Name neben dem des später wirkenden Robert Gutt wohl als erfolgreichster Pionier der Bergtouristik Siebenbürgens in die 64jährige Geschichte des Vereins eingegangen ist.
Gestützt auf die Erfahrungen des damals schon bestehenden deutschen und österreichischen Alpenvereins sowie anderer ähnlicher Verbände, fassten die Gründer Ziel und Zweck ihrer Bestrebungen in ihren Satzungen wie folgt zusammen: „Der Zweck des Vereins ist es, die Karpaten Siebenbürgens und deren angrenzende Teile zu erschließen und ihren Besuch zu erleichtern, sie in wissenschaftlicher Beziehung zu erforschen, zu beschreiben, zu schildern und die gewonnenen Ergebnisse zu verbreiten.“ Mittel zur Erreichung dieses Zwecks – heißt es in den Satzungen weiter – sind vorzugsweise „die Herausgabe von touristisch-literarischen Veröffentlichungen und Arbeiten, Vorträge touristischen und verwandten Inhalts, Veranstaltung gemeinschaftlicher Ausflüge und geselliger Zusammenkünfte, Herstellung, Erhaltung und Verbesserung der Verkehrs- und Unterkunftsmittel durch Anlage von Touristenwegen, Schutzhütten, Wegmarkierungen und dergleichen, Regelung des Führerwesens und Einrichtung des alpinen Rettungswesens, Veranstaltung, Förderung und Unterstützung sonstiger dem Vereinszwecke dienender Unternehmungen“.
Mit welchem Schwung und welcher Begeisterung die im Laufe der Jahre sich stetig vermehrende Zahl der Vereinsmitglieder beharrlich am Werke war, geht am deutlichsten daraus hervor, dass allmählich 13 Sektionen in allen Teilen des Landes entstanden: in Bistritz, Broos, Bukarest, Fogarasch-Großschenk-Agnetheln, Hermannstadt, Kronstadt, Lupeni, Mediasch, Mühlbach, Regen, Schässburg. Im Bereich der Sektionen wurden (mit welchen Anstrengungen und Kosten!) nicht weniger als 59 Schutzhütten errichtet. Nicht nur die Fogarascher Berge und das Zibinsgebirge, sondern auch der Königstein, der Butschetsch, die Harghita, der Șurian, das Kuhhorn (Ineu), das Paringgebirge usw. wurden damit, auch durch die Anlage markierter Wege, erschlossen. Viele Hütten mussten infolge von Bränden und Verheerungen des Ersten Weltkrieges neu erbaut werden – die Schutzhütten auf dem Negoi, dem Bulea und dem Paring sogar ein drittes Mal.
Anfangs wurde auch das Führerwesen organisiert, wobei sich der Bergsteiger in noch wenig erforschtem Gelände mithilfe des im Jahre 1884 herausgegebenen dreisprachigen Führerbuchs orientieren konnte. Später wurde von der Hermannstädter Sektion eine einwandfreie Touristenkarte herausgebracht, die das Zibins- und Fogarascher Gebirge umfasste.
Zu den vom SKV mit besonderem Geschick angelegten Touristenwegen gehört seit 1896 unter anderen der romantische, heute noch bewunderte „Drachenweg“ – auch Dr.-Carl-Wolff-Weg genannt –, der bekanntlich von der früheren Robert-Gutt-Hütte zur Negoispitze führt.
Die auf die publizistische Verbreitung der Vereinsziele gerichtete Tätigkeit fand in den insgesamt 56 Jahrgängen des „Jahrbuchs des Siebenbürgischen Karpatenvereins“ ihren beredten Niederschlag. Außer rein touristischen Hinweisen und regelmäßigen Berichten der einzelnen Ortsgruppen wurden im Jahrbuch mit berufener Feder geographisch-naturwissenschaftliche Themen behandelt. Nicht bloß Touristen, auch Botaniker, Zoologen, Mineralogen, Geologen, Physiker, Meteorologen, Kulturhistoriker und Ethnographen kamen zu Wort, sofern es sich um die Erforschung aller Erscheinungen unserer Bergwelt handelte.
Auf der Linie der Bestrebungen des Jahrbuchs lag die am 15. August 1888 erfolgte Gründung eines Karpatenmuseums, das sich dank der hingebungsvollen und fachkundigen Leitung Emil Sigerus’, des damaligen Vereinssekretärs zu beachtlicher Höhe entwickelte, später aber außer dem rein touristischen Anschauungsmaterial so viel an volkskundlichem und kulturhistorischem Material umfasste, dass man sich entschloss, die umfangreichen Sammlungen dem Brukenthalmuseum zu übergeben.
Eine Leistung der Hermannstädter SKV-Sektion war auch das in den Jahren 1892 bis 1894 errichtete Kurhaus „Hohe Rinne“, die heute unter dem Namen Păltiniș bekannte, für viele Erholungssuchende, wie früher, zum Begriff gewordene höhenklimatische Kuranstalt im Zibinsgebirge. Die Seele dieser Unternehmung waren auch diesmal der Vereinsobmann Dr. Karl Conradt und der damalige Sektionsobmann Robert Gutt. Neben den schmucken vier Pavillons der Kuranstalt entstand schon ein Jahr nach der Gründung ein Touristenhaus, dem dann in späteren Jahren das heute noch bestehende neue, größere Touristenhaus folgte, das ein beliebter Treffpunkt vor allem der Wintersportler geworden ist.
Wenn hier aus Raummangel in erster Linie von den Erfolgen der größten Sektion des SKV, der Hermannstädter, die Rede gewesen ist, so dürfen die aus Begeisterung und Tatendurst geborenen Leistungen der übrigen Sektionen nicht unerwähnt bleiben. So hat die Sektion Kronstadt nicht nur die Königstein- und die Malajeschter Hütte dreimal errichtet, sondern auch die erste Hohensteinhütte (1884), eine Omul-Steinhütte auf dem Butschetsch (1888) und nicht zuletzt auf dem Schuler 1885 das Schuler-Haus erbaut und damit die Grundlage für ein Sportzentrum von internationalem Rang geschaffen. Der Kronstädter Friedrich Deubel, der „eifrige Pfadfinder in der Wildnis“, hat sich als Erschließer der Bergwege ganz besondere Verdienste erworben. Eine in den zwanziger Jahren regelmäßig erscheinende Zeitschrift, „Der Wanderer“, berichtete über das Schaffen der Kronstädter und Bukarester Sektion. Letztere war unter anderem Erbauerin der Bolboci-Hütte (1926) und der bekannten Vârful-cu-Dor-Hütte (1936). Die Schäßburger Sektion erbaute 1882 die Harghita-Hütte und 1931 die Schäßburger Hütte im Sâmbătă-Tal. Die Bistritzer Sektion schuf außer der zum dritten Mal erbauten Kuhhorn-Hütte (Ineu) das Touristenheim Kolibitza, die Sektion Broos erbaute die Berger-Hütte auf der Naja (1907), die Sektion Fogarasch-Großschenk-Agnetheln unter anderem die Urlea-Hütte (1926-27) usw.
Als ein Ruhmesblatt in der Geschichte des SKV gilt die Tätigkeit der in Hermannstadt und Kronstadt ins Leben gerufenen alpinen Rettungsstellen. An ihre auf völliger Freiwilligkeit und jederzeit kameradschaftlicher Einsatzbereitschaft der Mitglieder beruhende Arbeit erinnern im Falle Hermannstadt unter anderem zwei Gedenksteine: der eine am Fedeleș, wo am 11. März 1928 zwei jugendliche Bergsteiger durch Übermut einer fast drei Meter starken Lawine zum Opfer fielen, und der andere auf dem Kamm der Arpascher Berge unterhalb der Vertospitze, wo am 30. Juni 1934 ebenfalls zwei lebensfrohe junge Menschen, Professor Richard Nerlinger und Fräulein Herta Ruzicka, im Nebel durch Unvorsichtigkeit auf nassem Rasen ins Rutschen gerieten, 250 Meter tief abstürzten und den Tod fanden. Der bei diesem Unfall überlebende Professor Henter erzählt heute noch voller Grauen, mit welch unsäglichen Mühen die herbeigeeilten 20 Retter die Leichen der Verunglückten bei stürmischem Wetter bargen und später Zementsäcke aus der Niederung sowie Wasser und Sand aus dem tief unten gelegenen Lacul Budii zur Unfallstelle auf den Kamm hinaufschleppten, um ihren verunglückten Kameraden ein Denkmal, für die Lebenden aber ein Mahnmal zu setzen.
Man darf abschließend sagen, dass der Siebenbürgische Karpatenverein als begeisterter Pionier zur Entwicklung der Bergtouristik, die heute mit den großzügigen Mitteln des Staates zu einer der reichsten Quellen der Volksgesundheit geworden ist, in reichem Maße beigetragen hat.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 183 – 188)

Seite Bildunterschrift
184-l Dr. Karl Conradt
184-r Robert Gutt
186 Zu einer richtigen Wasserburg hat sich die vom SKV gebaute Bulea-Hütte im Lauf der Zeit entwickelt.
187 Die Sâmbătă-Hütte (Bild links) wir heute noch oft die „Schässburger-Hütte“ genannt. Sie liegt im Ostabschnitt der Fogarascher Berge (Bild rechts).
188 Unter den vier höchsten Bergmassiven der rumänischen Karpaten (alle vier, Fogarascher Berge, Paring, Retezat und Butschetsch, gehören den Südkarpaten an) rangiert der Paring an zweiter Stelle. Sein höchster Gipfel, die Mândra (auch Parângul Mare genannt), erreicht die respektable Höhe von 2518 Metern.
Über zwanzig Bergseen gibt es im Paring. Sie alle liegen in den Gletscherkesseln der Nordhänge. Am meisten begangen ist der Kamm des Massivs zwischen Petroschen und der Runcu- bzw. der Obârșia-Lotrului-Hütte. Die westlichen Ausläufer bieten gutes Schigelände.
Unser Bild: Die 2404 Meter hohe Cârja im westlichen Paring.
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