von Alexander Tietz
Betrachten Sie nur unsere unmittelbare Umgebung, die Umgebung von
Reschitza, etwa mit dem Kreuzberg als Mittelpunkt. Gegen Norden,
gegen Tirnowa und Sotschan zu, haben wir ein kahles, grünes,
welliges, mit Salaschen (Gehöfte) besprenkeltes Hügelland, das, von
der Höhe gesehen, einer erstarrten See gleicht. Hier findet man im
lehmigen Boden die vielen versteinerten Meermuscheln. Nach Osten,
gegen „die Munte“, den Semenik, zu, erheben sich reich
bewegte waldige Höhen mit rauschenden Wassergräben, dunklen Tannen
und saftig-grünen Wiesen – es ist die Franzdorfer Gegend
–, während uns im Süden, gegen Kraschowa, eine typische
Karstlandschaft entgegentritt, mit wild zerklüfteten Felsen,
trichterförmigen Löchern, Dolinen, Bächen, die Verstecken spielen,
Steinfeldern, Grotten und Höhlen und einem tief in den Kalkstein
eingekerbten Canon, der Karasch-Schlucht. Du alle diese
landschaftlichen Gegensätze sind auf einen kleinen Raum
zusammengedrängt, sodass unsere Umgebung wie eine Musterkarte der
verschiedenen Geländeformen wirkt.
Die Berge bei uns sind nicht hoch; selbst der höchste, der Semenik,
den man das Gebirge schlechthin, „die Munte“, nennt
– das Wort hat einen unwirschen Klang und erweckt die
Vorstellung von wild, unwegsam, Nebel und Schnee, sodass „geh
in die Munte“ fast wie eine Verwünschung klingt –,
selbst „die Munte“ Semenik erreicht bloß die Höhe des
Mittelgebirges und macht mit ihrem von Buchen und Tannen umrandeten
Plateau mehr den Eindruck des Anmutigen als den des Großartigen.
Die Täler bei uns sind eng, die Hänge steil, die Formen rücken
zusammen: Es fehlen dem Landschaftsbilde die weit geschwungenen
Linien. Nirgends hat man den Eindruck des Erhabenen, des erdrückend
Gewaltigen. Nichts trägt den Blick hinaus ins Unendliche, Weite: die
Landschaft hält ihn in freundlicher, idyllischer Beschränktheit
gefangen.
Wollte man die Eigenart unserer Landschaft mit einem einzigen Ausdruck bezeichnen, könnte man sie als die Gegend der malerischen Winkel definieren.
(Aus einem 1957 gehaltenen Vortrag)
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 88 – 89)
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88 | Der Bohui-See bei Steierdorf. |