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Wo horsten noch Adler?

von Werner Klemm

Vielfältig ist Rumäniens Landschaft. Vom Meeresstrand, den Balta- und Lagunengebieten über die baum- und röhrichtbestandenen Flussauen und die endlos scheinbar sich dehnenden Ebenen ehemaliger Steppenböden hinauf in die wald-, gebüsch- und gartenreichen Vorberge, hinan zu den aus dem dunklen Kleid der Buchen- und Fichtenhorste aufragenden Massiven und Ketten felsiger Gebirge – ein Lebensraum, seit jeher geschaffen für die ganze Vielfalt europäischer Tierwelt. Bis heute noch ist Rumänien eines der an besonderen Tier- und Pflanzenarten reichsten Länder Europas.
Noch! Um dieses Wörtchen ballt sich die ganze Vielfalt des urwüchsigen Tierbestandes, die ganze Kostbarkeit lebender Kleinode und Schmuckstücke rumänischer Landschaft – und die ganze tragisch-düstere Zukunftsaussicht dieser Lebewesen, deren Schicksal so unentrinnbar in des Menschen Hand gelegt ist.
Zu den auffallendsten und gleichzeitig gefährdetsten Tiergruppen gehören die Greifvögel (Raubvögel), unter ihnen wieder die Adler, Geier, Falken.
Von Natur aus zu Fleischfressern bestimmt, im Körperbau und in Verhaltensweisen seit Urzeiten auf das Erstaunlichste zum "Greifen" lebender Beute oder zum Auffinden und Verzehren von Kadavern eingerichtet, fanden Greifvögel aller Art seit grauer Vorzeit im Wildreichtum der Wälder, Steppen und Baltagebiete beste Lebensmöglichkeiten.
Adler und Geier waren vor etwa 100 Jahren so häufig, dass der Seeadler zu den "gemeinen", d. h. ständig angetroffenen Vögeln der Balta und Flussauen, der Steinadler ebenso zu den "gemeinen" Vögeln im Karpatenraum gehörte, dass in den Wäldern um Babadag (Dobrudscha) zwischen 1873 und 1875 377 Eier von Geiern (in Geierhorsten findet man gewöhnlich nur ein Ei!) gesammelt werden konnten. Wahrhaft paradiesische Zustände – auch für Greifvögel – in der damals noch kaum grundlegend durch den Menschen veränderten Natur!
Um 1880 beginnt mit der Beseitigung der Abdeckereien und "Schindanger" (Kadaverplatz) eine wichtige, im Winter manchmal lebenswichtige, Nahrungsquelle zu versiegen; Wälder werden gerodet, der Wildstand vermindert; der Mensch ergreift nicht nur Besitz von der urtümlichen Landschaft, sondern bedroht auch mit Flinte und Gift den Bestand der zu Schädlingen erklärten Greifvögel. Heute sind alle Greifvögel unseres Landes zu Seltenheiten geworden, deren gesetzlicher und faktischer Schutz unerlässlich geworden ist.
Wie freut man sich deshalb auf Wanderungen, diesen "Königen des Luftreichs" zu begegnen. Im Segelflug allmählich höher steigend, kleinere und größere Kreise ziehend, streicht vielleicht der große, dunkle Steinadler an uns, die wir gebannt auf dem Kammweg des Fogarascher Gebirges anhalten, vorbei: höher, immer höher. Und eben als er, nur mehr ein Punkt, im weißen Wolkenmeer zu verschwinden droht, beginnt er herabzustürzen: Mit angewinkelten Flügeln und zunehmenden Fittichrauschen schießt er, die Wucht des Sturzes in hochführenden Schleifen immer wieder abfangend, in Treppenstufen in die Tiefe und verschwindet im nebelgefüllten Kar, vielleicht zum Horst hin, vielleicht auch nur zum Ruheplatz im Felsengewirr. Mächtige Baue sind diese Horste, die der Steinadler bald in überdachten Nischen steiler, hoher Felswände, bald in den Gipfeln alter Eichen, Buchen oder anderer Waldbäume aus Ästen und Zweigen zusammenträgt, manchmal bis 2 Meter breit und 1 Meter hoch. Aus den 2 – 3 Eiern entwickeln sich in 5wöchiger Brutzeit die unbeholfenen, mit dem großen Schnabel und dem weißen Daunenkleid struppig anmutenden Jungen, die erst nach etwa 3 Monaten kräftiger Atzung mit Wildbeute aller Art bis zur Größe des Lamms und Reh- oder Gamskitzes flügge werden. Aber 3 – 4 Jahre vergehen, bis die anfangs viel Weiß im Gefieder zeigenden Jungadler geschlechtsreif werden und nun ein düsterbraunes Federkleid mit goldbraunen Nackenfedern tragen. Mit der Reifezeit und Paarung gewinnen die bis dahin umherstreunenden Jungvögel festen Wohnsitz, im Gebirge meistens oder, seltener, in den wildreichen Niederungen des Karpatenraumes, wo anstehende Felswände ein sicheres Horsten ermöglichen. Nach den 1969 vorliegenden Beobachtungen gibt es im Lande nur noch 1 ½ bis 2 Duzend Brutpaare des Steinadlers, darunter mutmaßlich 2 im Fogarascher Gebirge, 1 im Vârghiștal (Baraolt), 1 sicher in der Thorenburger Schlucht, 1 sicher in der Maramuresch, während die anderen Brutpaare aus Einzelbeobachtungen erschlossen sind, ohne dass die Brutorte genau ermittelt und überwacht wären.
Noch eindrucksvoller als der Steinadler erscheint dem Betrachter der Seeadler, mit 2,20 Meter Flügelspannweite der größte unter den einheimischen Arten. Auffällig sticht bei alten, ausgefärbten Vögeln der keilförmige, weiße Schwanz vom übrigen dunkelbraunen Gefieder ab. Mit trägen Flügelschlägen auffliegend, dann aber leicht hinschwebend oder auch auf einer der uralten Weiden oder Pappeln aufgeblockt, sieht man ihn am häufigsten am Sankt-Georgs-Arm im Donaudelta (Litcov) oder im Leteawald. Hier stehen auch die meisten Horste. Ebenso mächtig wie die des Steinadlers, findet man sie in den Kronen kräftiger, hoher Eichen oder Pappeln, oft weithin sichtbar, aber kaum erreichbar und zugänglich. 2 – 3 Junge wachsen hier heran. Sehr kräftig gebaut, aber auch träge, pflegen die Seeadler ihre Beute (vor allem Wasservögel aller Art und Fische) im Fluge zu erspähen und zu verfolgen, oder aber sich einfach in einer Vogelkolonie, auch Pelikankolonien, einzuschwingen und hier ohne Anstrengung aus den Vollen zu schöpfen.
Die Zahl der noch vorhandenen Seeadler ist gegenwärtig klein und durch Abschuss, Störung, Gift und Verdrahtung der Landschaft im weiteren Abnehmen. In Siebenbürgen verschwanden die letzten vereinzelt noch brütenden Paare 1930 (Honigberg/Alt) und 1959 (Agnetheln). An der unteren Donau und im Delta zählte man 1966 noch 23 Horste, von denen jedoch nur mehr 12 besetzt waren.
Eines guten Feldstechers und einiger Erfahrung bedarf es, die übrigen einheimischen Adler zu erkennen. Im Hochwald brüten da noch in wenigen Paaren die beinahe eulenartig dickköpfigen, Reptilien verzehrenden Schlangenadler und die Zwergadler, nicht größer als ein Bussard. Interessant ist der Brutnachweis des hellgefiederten Fischadlers im Banat, ist doch der Fischadler ein nordischer Durchzügler, den man selten genug stoßtauchend dem Fischfang an Flüssen und Seen nachgehen sieht.
Etwa von der Größe des Steinadlers, auch in der dunklen Gesamtfärbung jenem ähnlich und daher nicht ohne Weiteres sicher zu bestimmen, sind Kaiseradler und Schelladler. Der Kaiseradler ist im Sitzen durch weiße Schulterflecken und im Flug durch seinen kurzen, geraderen Schwanz gekennzeichnet, der Schelladler durch seine beinahe schwarze Färbung. Als Bewohner südlicher Breiten ist der Kaiseradler bei uns Zugvogel und erreicht in Siebenbürgen seine nördliche Verbreitungsgrenze. Horstplätze sind in letzter Zeit nicht ermittelt worden, doch gab es 1969 sicher Kaiseradler bei Turda, Freck-Avrig und in der Norddobrudscha. Auch vom Schelladler sind die Horste unbekannt. Weit verbreitet und verhältnismäßig häufig ist der Schreiadler, größer als ein Bussard und am Ruf zu erkennen, ehe man ihn noch sieht. Außer Nagetieren stellt er auch Heuschrecken und Fröschen nach. Er baut seine Horste im Hochwald der Niederungen und Bergwälder.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 70, S. 72 – 74)

Seite Bildunterschrift
73 Steinadler – im Bukarester Zoo.
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